Der Künstler ist bestimmt durch sein Werk

Thomas von Aquin        

 

 

 

WELCHER KUNST GEHEN KÜNSTLER NACH ?

 

Seit ein paar Jahren gibt es für  Dichter, Maler und Musiker und dergleichen eine neue Pflicht - die Versicherungspflicht.

Die eigens hierzu ins Leben gerufene Institution heißt, weil es sich bei dem genann­ten Personenkreis um Leute handelt, die als "Künstler" bezeichnet werden, "Künstlersozialkasse".

Hat man bei der  Künstlersozialkasse vernommen, daß sich jemand künstlerisch betätigt, und damit seine Existenz bestreitet, ohne versichert zu sein, so wird dieser per Post auf seine Versiche­rungspflicht hingewiesen. Er bekommt einen Fragebogen mit einem kleinen Merkheft, welches ihm seine Situation vor Augen führt.

Den Umschlag des Merkheftes ziert, wohl weil es sich an Künstler wendet, ein cartoon-artiges Aquarell, auf dem Käfer in Gräsern turnen, und ein Gedicht, das geht:

"Jetzt, wenn der Künstler mal verletzt, fängt ihn das soziale Netz"

Einer der Käfer ist abgestürzt, aber dann in einem Netz gelandet.

 

Dann muß der Adressat sein Einkommen schätzen, und sollte dies zu gering sein, so ist er keineswegs von der Versicherungspflicht entbunden, sondern das Sozial­system zahlt die Beiträge.

 

Künstler scheint somit ein richtiger, staatlich kategorisierter Beruf geworden zu sein. Wie ein Tischler Tische macht, ein Schuhmacher Schuhe und ein Geschäftemacher Geschäfte, so stellt man sich den Künstler als einen vor, der Kunst macht.  Manche Künstler nennen sich deshalb auch Kunstmacher.

 

Obwohl es weder ein Berufsbild des Künstlers, noch ein Bild seines Produktes, der Kunst, gibt, ist dies eine Vorstellung, die allgemein geteilt wird.

Nun wäre es, bevor man begann, die Sprache nur noch als Informationsvermittlung zu betrachten, nicht möglich gewesen, vom  Kunstmachen  zu sprechen. Denn einer Kunst kann man eigentlich nur nachgehen. Und kann sie vielleicht erreichen.

Es kann dann jemand so malen oder so tischlern, daß es eine Kunst ist.

Aber machen kann Kunst niemand, weil es seiner Macht nicht unterliegt, ob es Kunst wird.

Und es kann deshalb niemand "Künstler" als Beruf wählen, weil das nur etwas sein kann, das einem zuteil wird, das entgegenkommt im Moment der Hingabe an das Werk, da man von den eigenen Zwecken und Belangen nicht bestimmt ist.

Nur aus dieser Freiheit heraus kann etwas Gestalt werden. Das, was in einem Tisch, als Tisch anwesend geworden ist, konnte nur durch den zur Anwesenheit kommen, der ihm dies nicht durch Zwecke, die ja immer die Zwecke der eigenen Person sind, verwehrte.

Dies war als ein christliches Grundmotiv des Mittelalters in der Sprache noch bis zur Barockzeit lebendig. Da hatte man das Wort "Kunst" von Können abge­leitet, welches nicht, wie später, die Fähigkeit zu einer Leistung bzw. einer Fer­tigkeit bedeutete, sondern die Fähigkeit, aus jener Freiheit heraus Gestalten zu erschaffen.

Der Künstler ist daher etymologisch und inhaltlich dem König verwandt, der auch nicht in Diensten stehen darf, und dessen Königtum nur in dieser Freiheit eines "von Gottes Gnaden" ist. Darum ist der Könner, da er nicht mehr im Dienste seiner Person steht, ein Keiner.

Das von ihm Hervorgebrachte ist sein Kind. 

Das Gekonnte als das Kunstwerk muß als Gestaltgewordenes ein Einziges sein, das, wie ein Kind, neu ist, freilich ohne um das Neue bemüht zu sein, während das Gemachte als das Machwerk nur etwas neu Zusammengesetztes sein kann, in dem die Erscheinungsformen der  Gestalten nachgeahmt und verbraucht werden.

Anschaulich wird dies an der Architektur, wie sie sich nach der Aufklärung entwickelte, indem diese nur noch die Merkmale der Formen vergangener Epochen reproduzierte.

 

Wenn man die Kunst heute als etwas Machbares ansieht, so ist der Begriff zu einer inhaltslosen Übereinkunft geworden. In diesem Sinne wird auch das Neue, da man keine Gestalten mehr erkennt, als das nur "Unerwartete" verstan­den. Die meisten Aussagen über Kunst, die heute Gültigkeit haben, beziehen sich nur auf diese Übereinkunft.

 

Sätze, wie zum Beispiel: "Wenn jemand sagt, es ist Kunst, dann ist es Kunst" (Marcel Duchamp), "Kunst ist Definition von Kunst" (Joseph  Kosuth), "Kunst ist Medium" (Bazon Brock), "Kunst ist es, das zu sein, was man nicht von ihr erwartet" (Seth Siegelaub), beschreiben eine Haltung, bei der die Worte "Kunst" und "Künstler" als Eti­ketten wahrgenommen und  benutzt werden.

 

Gleichzeitig ist die Kunst des Tischlers nicht mehr zu finden. Dieser ist dazu übergegangen, einen Tisch zu fertigen, ihn zu produzieren im Hinblick auf seine Verwertbarkeit, anstatt ihn Gestalt werden zu lassen.

Offenbar sieht man heute jedes Tun als Zweck.

 

Hatte man vordem, etwa das Waschen der Wäsche zwar als Mühe, aber auch als Erlebnis hingenommen, so sah man es nach der Aufklärung mehr als Methode zur Erlangung sauberer Wäsche an, die Bei­zeiten durch eine zweckdienlichere Methode ersetzt wurde, letztlich durch die Maschine.

Der Vorgang des Waschens als Gestalt ist also nahezu ausgestorben.

 

So sind die methodisch gefertigten Dinge der Industriezeit, da sie inhaltlich nicht gewachsen sind und sich ihre Realität nicht aus einem Gestaltwerden ergibt, ei­gentlich keine richtigen Dinge mehr.

Sondern es sind Wucherungen des im Zweckdenken anonymisierten Geizes, der sich verselbständigt hat und sich wie ein Virus gestaltlos an Gestalten anhaftet, um sie im Nachahmen zu zerstören.

Die gewonnene Zeit nennt man Freizeit, so als gäbe es noch eine freie Zeit, nachdem man sich den Zwecken verkauft hat.

Jene Freiheit, aus der heraus man gestalten konnte, ist  einem Ra­tionalismus geopfert worden, welcher den Menschen derart in den Dienst der Zwecke stellt, so daß auf eine anonyme und deshalb unbegriffene Weise eine Leibeigenschaft entstand, die alles Vorherige dieser Art in den Schatten stellt.

 

Der Kunst, die vorher in jedem menschlichen Tun als Möglichkeit gegeben war, konnte nicht mehr nachgegangen werden. Da man sie nicht mehr als etwas zu Erreichendes, in der Bewegung von sich weg, betrachtete, sondern als etwas aus sich heraus, gleichsam durch Zuschreibung Bestimmbares, das somit machbar ist, - wie ein König, der sich selbst krönt ~, hat der Begriff nur noch in einem bestimmten konkreten Bezugsbereich Bedeutung: in der "Kunst" - als Kultur.

 

Dieser neue Kunstbegriff ist wie ein separater Bereich, in dem aus der gewon­nenen bürgerlichen Sicherheit heraus die Ahnung des verlorengegangenen Erlebnisses konsumiert wird.

In der Sprache der Prospekte und Zeitungen hat sich dies niedergeschlagen, indem man heute vom "Erlebnisbereich Museum" spricht oder vom "Erlebnisbe­reich Freizeit", oder vom Erlebnisbereich "Natur". Vielleicht liegen deshalb die größten Museen und Naturschutzgebiete in dem Land, in dem das Fließband erfunden wurde.

 

Es mag so das Unbehagen zu erklären sein, dessen Einige sich nicht erwehren können, wenn sie, nach ihrem Beruf gefragt, "Künstler" angeben.

 

 

 

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(c) Herbert Antonius Weiler, 1988

zuerst erschienen in:

Astrologiezeitung für die Münchner Rhythmenlehre 

 

Nr. 6, 1988, herausgegeben von Verena Franke