Aletheia
- Einige Bezeichnungen der antiken griechischen Begriffsbildung gehen auf aramäische und hebräische Worte zurück.
Etwa Agape, die Nächstenliebe; eine Gräzesierung des hebräischen Ahava.
- So auch der griechische Begriff des Mythos, der ursprünglich Wort, Sage oder Mär bedeutet, dies im Sinne eines
Gesagten, dessen Wahrheit. im Unterschied zum Logos, keiner kausalen Begründung bedarf, da es aus sich selbst spricht und seine Wahrheit nicht erklärt muss.
- Wie der Witz. Das Wort kommt ja ursprünglich von Weisheit. Oder vielleicht von Gewissheit? Ein Witz gewinnt selten, wenn er erklärt wird.
-
Mythos gehört zum Wortfeld des Adjektivs
mystikos. Dieses meint das
Verborgene, Geheime. Demnach wäre Mythos nicht das bezeichnende, kausal ableitbare Wort, sondern das Wort
aus dem Urgrund, dem Nichts, in dem das Verborgene sich entbirgt und von sich kündet.
- Das griechische Ypsilon geht auf das aramäisch/hebräische Waw zurück. Ein Doppellaut, der sowohl für V als auch für U stand. Das Ypsilon wurde
dementsprechend zunächst als U gesprochen. Erst später wandelte sich der Laut zu Ü. Beide Begriffe lauteten ursprünglich Muthos und mustikos.
- Das Adjektiv mystikos wiederum geht auf das hebräische musthar - verborgen, geheim zurück. Ein reiches und vielschichtiges Wortfeld, zu dem auch moschech -
herausziehen gehört. Wie auch der Name des Moses- Moscheh. In der traditionellen Auslegung bedeutet er Herausgezogener ,
weil Moses aus dem Wasser herausgezogen wurde. Laut Martin Buber, aber
auch Herauszieher , weil er das Volk aus der Ägyptischen Gefangenschaft führt.
- Eine Entsprechung des griechischen Mythos im Deutschen ist das Geheimnis.
Das Geheimnis ist nicht etwas, das nicht jeder kennt. Es kommt von Heim. Das Heim bezieht sich auf die Identität des Menschen, sein Empfinden, darin
wird er anwesend, heimisch. Und das Empfinden ist seine Heimat. Im Tierkreis die vierte Phase, die des Zeichens Krebs.
Im Empfinden weiß jeder um das Geheimnis, es ist jedoch nicht auf den Straßen, in der Zeitung, im Rundfunk oder im Internet mitteilbar.
Nur im Zwiegespräch kann es anwesend werden, als ein Drittes zwischen Zweien.
- Die Göttin Aletheia galt in der griechischen Mythologie als die Personifikation der Wahrheit.
- In den Fabeln Äsops wird berichtet, wie Prometheus die Gestalt der Aletheia aus Ton formte. Der personifizierte Betrug kam daher und ahmte sie nach. Er schuf, als
Prometheus abwesend war, eine nahezu gleich ausschauende Figur. Es gab jedoch nicht mehr ausreichend Ton, um die Füße zu formen. Als Prometheus zurückkehrte und beide Figuren zum Leben
erweckte, konnte sich die Wahrheit bewegen und gehen, während die Lüge ohne Füße unbeweglich auf der Stelle verharren musste.
- Aletheia bedeutet wörtlich das Un-verborgene, A-letheia, letheia, das Verborgene, wird durch das Präfix A zum Unverborgenen.
- Martin Heidegger bezieht sich in seinem Gedanken zur Wahrheit als Unverborgenheit des Seins auf diese Etymologie: Im Entbergen des Verborgenen, der A-letheia, erweise sich die
Wahrheit.
Der Begriff der Wahrheit wird dabei seiner Ursprünglichkeit zugeführt, indem Wahrheit nicht etwa die Beweisbarkeit einer Aussage über ein faktisches Vorhandensein darstellt. Vielmehr entbirgt
der Mensch, so Heidegger, das Sein im Erkennen aus der Verborgenheit.
Diese Entbergung sei jedoch kein Bemühen des Menschen, sondern er ist als Mensch in diesen Prozess hineingestellt.
- Das gleicht einer Aussage bei Meister Ekhart, der sagt: Dadurch, dass ihr die Dinge seht, führt ihr sie zu Gott zurück. Seht, was ihr alle tut.
- Meister Ekhart spricht von Gott als Person. Das ist etwas anderes. Heidegger spricht von einem abstrakten Sein, das letztlich auf ein Sein-an-sich hinausläuft. Seine Erörterung des
Entbergens bleibt dabei merkwürdig ambivalent: zwar soll der Mensch ohne Zutun in die Offenheit des Seins hineingestellt sein, jedoch wohnt dem Begriff des Entbergens eine aktive Bedeutung
inne, indem er betont, das Unverborgene müsse der Verborgenheit abgerungen werden, zugleich soll dieses Ringen aber nicht von ihm ausgehen, sondern das Sein spricht sich ihm zu.
- Letztlich läuft Heideggers Sein auf eine Abstrahierung und zugleich Phänomenalisierung des Seins
hinaus, denn ein Sein-an-sich wäre sich selbst ein Seiendes. Es wäre ein amorphes Monster.
- Martin Buber hat den Seinsbegriff Heideggers in dieser Hinsicht kritisiert und
ihn als sophistische Abstraktion bezeichnet, eine Hülse ohne Bezug zum Dasein des Menschen. Ein Sein, das etwas anderes meint, so Buber, als die allen
Dingen inhärente Eigenschaft, dass sie sind, sei nicht wirklich denkbar.
- Wer indes Heideggers Ontologie nachgeht, könnte den Eindruck eines Rückgriffs auf Gedanken Martin
Bubers gewinnen. Der freilich nie zum Thema wird. Tatsächlich erschließt sich Heideggers Gedankengang der Entbergung des Seins durch den Menschen, den er in einem Vortrag von 1932 erstmals
darlegte, wenn man Bubers zehn Jahre vorher herausgegebene Schrift "Ich und Du" heranzieht.
Buber beschreibt den Menschen als einen dem Mitmenschen und der Natur Gegenübergestellten. Der nur in
diesem Gegenübersein als Person anwesend wird und dem Gegenüber zu Anwesenheit verhilft - es in der Begegnung entbirgt und als ein Du zulässt. Darin findet sich
eine Entsprechung zu dem Satz Meister Ekharts.
- Wenn Heidegger artikuliert, dass die Offenheit des Seins nicht vom Menschen ausgehe, sondern er darin
hineingestellt ist, für das ihm Entgegegenkommende offen zu sein, so lässt sich darin das Dialogische Prinzip Bubers erkennen, nach dem der Mensch als ein Gegenüber im Sinne der
Ich-Du-Beziehung angelegt ist. Und er nur in diesem Gegenübersein als Person anwesend wird sowie die Welt durch ihn zur Anwesenheit kommt. Dieser Grundgedanke der Begegnung wird allerdings
von Heidegger weder entsprechend erwähnt noch weiter verfolgt. Er fehlt schlicht in Heideggers Ontologie.
- Wie der Kopie der Aletheia, der die Füße fehlen?
- Martin Buber unterscheidet zwischen zwei verschiedenen Seinsweisen: der Ich-Es-Beziehung im Unterschied zur Ich-Du-Beziehung. Bei der Ich-Es-Beziehung wird die Anderheit nur als
Umstandslieferant, als ein zu Benutzendes wahrgenommen.
Das Gegenüber wird negiert und in dieser Auslöschung des Anderen als Gegenüber löst sich letztlich auch das Subjekt auf - ohne das Du vergeht auch das Ich des Menschen
In der Ich-Du-Beziehung hingegen werden der andere Mensch und die Natur als Gestalt, als Du
erkannt, dessen Wahrheit erst in der Begegnung spricht und gegenwärtig wird. Dies ist die Wahrheit als Unverborgenheit der Identität.
Nicht des Seins. Denn ein Sein, das etwas anderes wäre, als das Sein-dessen-was-ist, somit ein Sein
ohne Identität, würde sich aufheben. Die Unverborgenheit ist die
Unverborgenheit des Du.
- Bubers Schrift lässt sich als Vorbild
und Anleitung zu Heideggers Gedankengang ausmachen. Sie erschien 1923. Heideggers Vortrag zu Platons Lehre von der Wahrheit, mit der
Formulierung der Wahrheit als Unverborgenheit des Seins wurde im Jahre 1932 gehalten und 1942 herausgegeben.
- Bubers Sprache bleibt lebensnah. Zwar sind sich Buber und Heidegger mehrere Male begegnet, aber Buber gehörte nicht dem akademischen Betrieb an. Die einschlägige Neigung zur verschachtelten
Ausdrucksweise teilt er nicht. Auch Heideggers eigenwillige Begriffsbildung, obwohl von Bubers Sprache inspiriert, erscheint ihm als intellektuelle Selbstbezogenheit. Er hat Heidegger
kritisiert, während dieser ihn ignorierte und kaum erwähnte.
Martin Heidegger, 26. September 1889, 11:54 Uhr, Meßkirch. (Quelle: Wolfgang Döbereiner)
- Im Rhythmus der sieben Jahre pro Phase befindet sich Heidegger zur Zeit der Herausgabe von Bubers Schrift "Ich und Du", im Jahre 1923, mit 34 Jahren in der Auslösung der Sonne im zehnten Haus
durch das Zeichen Löwe in Haus acht. Dies legt nahe, dass sich das Werk Bubers für Heidegger als ausschlaggebend erweist. Im gleichen Jahr erhielt er eine Professur, Heideggers Hauptwerk
"Sein und Zeit" entstand drei Jahre später.
- Die Pluto-Neptun-Konjunktion am Deszendenten steht für eine von den Zeichen des Verdrängten besetzte Gegenwart. Neben Heideggers Befangenheit durch den Nationalsozialismus zeigt sich
darin ein Ausschluß der Begegnung. Es zeigt sich ein Seins-Begriff - ein Sein - das ohne Gegenwart ist.
Heideggers Ontologie sei begegnungslos, ein in sich selbst kreisender Sophismus. Das ist es, was Buber ihm, zuletzt in den fünfziger Jahren, vorwirft.
- Zum Bild wird hier die Pluto-Neptun-Konjunktion im Zeichen Zwillinge am Deszendenten, indem das Nichts des Ungeteilten, der Neptun, durch den Pluto zu einer in sich abgeschlossenen Vorstellung
wird. Heideggers Sein ist ein Pluto, der den Neptun zu fassen versucht.
---
- Heidegger hatte sich von dem Weg inspirieren lassen, den Buber mit der Philosophie des Ich und Du aufgetan hatte, jedoch die Begegnung, das Dialogische Prinzip Bubers, als
Grundlage, hatte er ignoriert.
Mit Pluto, Neptun und Venus am Deszendenten besteht die Neigung der Nachahmung von Identität. Das Nachgeahmte wird entschärft und der Infragestellung entledigt, um es den bürgerlichen Instanzen
anzudienen. Das Dialogische Prinzip Martin Bubers ging damit in seiner Bedeutung unter und konnte nicht die Wirkung entfalten, die ihm sonst zugekommen wäre.
- Schon in seiner Stellungnahme zur Technik hatte Heidegger sich von den Schriften Friedrich Georg Jüngers anleiten lassen.
- Die Deutung Heideggers zur Aletheia bleibt letztlich verworren. Der Mensch entbirgt die Verborgenheit des Seins. Aber was soll dieses Sein anderes
sein als das Sein dessen, was ist? Dessen Sein damit in der Identität besteht. Und damit im Gegenübersein und im Erkennen des Menschen. Das ist der eigentliche Sinn der Formulierung, der
Mensch entberge das Sein. Es ist sein Wirken, wenn er die Dinge als Gegenüber erkennt und ihr Wesen anwesend werden kann.
Cezanne sagte, er habe den Eindruck, dass der Wald sich in ihm freue, wenn er ihn malt.
- Wenn "Mythos" eigentlich das "Verborgene" bedeutet, abgeleitet von hebräisch "musthar" - geheim, verborgen, dann wäre ein Entbergen des Verborgenen eigentlich das
Zerreden des Geheimnisses.
Es entspräche der Aussage Wolfgang Döbereiners, nach der der Logos den Mythos verdrängt hat.
-Der Gedanke, der Natur müsse ein Geheimnis entlockt werden, geht angeblich auf ein Fragment Heraklits zurück: Die Natur liebt es, sich zu verbergen. B 123
Der Satz kommt der Haltung der modernen Naturwissenschaft entgegen. Francis Bacon begründete diese mit seiner Methodologie, der gemäß die Natur gewissermaßen auf der Anklagebank stehe und
man sie zum Geständnis bringen müsse. Wenn man bedenkt, dass Bacon als Staatsanwalt an Folterprozessen beteiligt war, gewinnt der Satz eine besondere Note.
- Wenn Heidegger also von Aletheia als Entbergung des Verborgenen spricht, dann meint er eigentlich den falschen Logos.
- Kennzeichnenderweise fehlen der Kopie, die der personifizierte Betrug nach der Figur der Aletheia anfertigte, die Füße.
Das ist schon sehr deutlich, weil die Füße dem Zeichen Fische und dem Neptun entsprechen. Der Nachahmung fehlt also der Neptun. Sie hat keinen Urgrund, keinen Anfang aus sich heraus.
- Bedeutet Mythos denn nicht Wahrheit?
-Schon, aber Wahrheit bedeutet eben auch bewähren, nämlich dass sie sich bewahrheitet.
Und das ist der Mythos als das Verborgene, das Geheimnis, dass sich als Gestalt in der Zeit "bewährt", also bewahrheitet, indem es als Gegenwart anwesend wird. Wahrheit fließt.
Daher fehlen der Tonfigur des Betrugs die Füße und sie kann sich nicht bewegen.
- In Geschichten über Dämonen, die sich als Menschen ausgeben, werden diese erkannt, indem sie keine Füße haben. Oder Hühnerfüße. Oder einen Pferdehuf.
- Das Prinzip selber, der Neptun, kann im dritten Quadranten nicht selbst als "Wahrheit" erscheinen. Das entspräche der Verbindung von Neptun und Jupiter, der Schwüle und der falschen
Religiosität.
Wahrheit ist fortwährend, ein Gestaltwerden.
- Heideggers Aletheia-Verständnis, dem zufolge die Natur etwas verberge, was es zu entbergen gelte, zeugt letztlich von einer Opportunität gegenüber der Wissenschaft bzw. dem akademischen
Betrieb.
Zwar ist Heideggers Stellungnahme zur Technik als "Gestell" bekannt. Ebenso sein Statement zur Wissenschaft: "Die Wissenschaft denkt nicht", das als Kritik gelten kann.
Jedoch relativiert er den Satz später mit beschwichtigendem Gestus und will ihn nicht als Ablehnung verstanden wissen: Nach ihrem methodologischen Selbstverständnis sei das Denken gar nicht
Aufgabe der Wissenschaft, sondern ihr Feld sei das methodische Beobachten und Katalogisieren.
- Die Interpretation der Aletheia bezieht sich meist auf den Satz Heraklits: Die Natur liebt es, sich zu verbergen - phýsis krýptesthai phileí.
Jedoch passt der Satz nicht zu Heraklits anderen Aussage. Er scheint eher zugeschrieben.
- Heraklit war vermutlich Wassermann, weil er stets den Gegensatz, die Polarität hervorhebt, die der Entwicklungsphase des Zeichens Wassermann aus dem Ungeteilten des Zeichens Fische entspricht.
Es sind immer wieder die Wassermann-Geborenen, die die Polarität zum Thema machen. Martin Buber mit dem "Dialogischen Prinzip" des "Ich und Du", Romano Guardini mit dem "Gegensatz" oder Ilja
Prigogine in dem von ihm geforderten "Dialog mit der Natur" als eine Haltung der Erkenntnisgewinnung, die die Natur als Gegenüber zulässt, das sich mitteilt im Dialog und nur darin seine Wahrheit
offenbart.
Heraklit hätte den durch Themistios Jahrhunderte später überlieferten Satz "Die Natur liebt es, sich zu verbergen", so nicht geprägt. Der Satz ist intellektuell, zielt auf das Beobachten ab
und verbleibt im Subjektiven. Er ist nicht absurd, bleibt merkwürdig bürgerlich. Heraklit hingegen liebte das Absurde, die Gewissheit der plötzlichen Erkenntnis.
- Woher wollen Sie das wissen?
- Weil er ein Freund ist.
***
(C) Herbert Antonius Weiler, Juni 2022