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Palmsonntag und die Bremer Stadtmusikanten

 

 

 

 

- Das Märchen von den Bremer Stadtmusikanten erzählt vom Zusammenwirken vierer Tiere, die nichts Gutes mehr von ihren Brotherren zu erwarten haben. Da ist der Esel, der schon lange Jahre die Säcke unverdrossen zur Mühle getragen hatte und den nun, da sein Kräfte nachlassen, sein Herr aus dem Futter schaffen wollte.

Er läuft lieber fort und macht sich auf den Weg nach Bremen, um sich dort als Stadt-musikant zu versuchen. Nach einer Strecke Wegs begegnet ihm der Hund, dann die Katze und dann der Hahn. Sie schließen sich dem Esel an und machen sich mit ihm nach Bremen auf.

 

- In dem Zusammenwirken der vier Tiere scheint die Dynamik der vier astrologischen Quadranten auf. Der Esel, der Lastenträger, als der Vertreter des ersten, des physischen Quadranten, Widder, Stier, Zwillinge. Wie das Pferd steht auch der Esel meist für den Körper. Franziskus nannte den Körper Bruder Esel. Im chinesischen Tierkreis taucht das Pferd als letztes Frühlings-zeichen auf, dem Zeichen Zwillinge entsprechend.


- Im Märchen der Bremer Stadtmusikanten begegnet der Esel zuerst dem Hund; Packan nennt er ihn. Dieser hat seinen Herrn stets auf der Jagd begleitet, er ist auch der Wächter des Hauses. Da er nun alt sei und jeden Tag schwächer werde und auch auf der Jagd nicht mehr fortkomme, habe ihn sein Herr totschlagen wollen. Da ist er fortgelaufen. Der Esel lädt ihn ein, mitzukommen nach Bremen und sich bei der Musik annehmen zu lassen.

 

- Als Begleiter und Wächter steht er für den gegenüberliegenden, den dritten Quad-ranten. Auch hier findet sich ein Bezug zum chinesischen Tierkreis, wo der Hund der Zeit der Waage entspricht, dem Anfang des Herbstviertels.

 

- Aus der Begegnung des Körpers mit dem Geist, des ersten mit dem dritten Quad-ranten ergibt sich die seelische Impulsation, der zweite Quadrant, der Sommer - bei den vier Stadtmusikanten die Katze, die man als nächstes antrifft.

Alter Bartputzer nennt der Esel sie. Auch sie hatte sich fortgemacht, denn ihre Herrin hatte sie ersäufen wollen, weil sie nun zu Jahren gekommen sei und ihre Zähne stumpf würden und sie lieber hinter dem Ofen liege und spinne, anstatt Mäusen nachzujagen. Der Esel meint, auch sie könne Stadtmusikant werden, da sie sich doch auf die Nachtmusik verstünde, und so schließt sie sich an. 

 

- Im Unterschied zum Hund, der seinen Herrn begleitet, hat die Katze ihre eigenen Regungen und Wege. Sie folgt nur, wenn sie mag, und nachts ist sie aus dem Haus, wie auch die seelische Anwesenheit des Nachts im Schlafe außer Haus ist.

 

- Als letzten trifft man auf den Hahn, der auf dem Tor sitzt und aus Leibeskräften schreit. Rotkopf nennt ihn der Esel, ähnlich dem Namen des Rotkäppchens in einem anderen Märchen. Beim Hahn ist im Unterschied zu den drei anderen nicht vom Alter und von nachlassenden Kräften die Rede. Auch hat er seinen Hof noch nicht verlassen. Vielmehr klagt er, er habe gutes Wetter prophezeit, weil unserer lieben Frauen Tag sei, wo sie dem Christkindlein die Hemdchen gewaschen habe, aber weil morgen Sonntag ist und Gäste kommen, wolle ihn die Hausfrau in der Suppe essen. Darum schreie, er noch solange er kann.

 

- Der Esel meint, etwas besseres als den Tod finde er überall, und schlägt auch ihm vor, mit nach Bremen zu kommen.

 

- Der Hahn ist das Tier des Erwachens und des Aufrichtens und damit des Bewusstwerdens. Dem Petrus kommt mit dem drittmaligen Krähen des Hahns sein Verrat zu Bewusstsein.  

Der Tag unserer lieben Frau, an dem sie dem Christkind das Hemd gewaschen hat, ist eine alte Umschreibung für den Samstag, Mariensamstag, dem der Sonntag folgt, an dem der Hahn in der Suppe verspeist werden soll. Die Geschichte des Hahnes ist als einzige mit einem Wochentag verbunden, dem des Saturn. Entsprechend wird er auch später für einen Richter gehalten.

 

- Er verkörpert den vierten Quadranten. Als einziger der vier Vertreter vermag er zu fliegen. Als es Nacht geworden war auf ihrer Wanderung und Esel und Hund sich unter einen Baum zum Schlafen hinlegen, während die Katze und der Hahn sich in das Geäst begeben, fliegt er in die höchste Spitze des Baumes, von wo aus er ein Haus erblickt. Die Tiere machen sich dorthin auf und der Esel, der als Größter durchs Fenster späht, gewahrt darinnen eine Räuberbande, die an reich gedeckter Tafel speist. Das wäre was für uns, meint der Hahn. Ja,ja, ach wären wir da, sagt der Esel. Bisher waren die Anregungen stets vom Esel ausgegangen, hier nun vom Hahn.

 

- Die vier Tiere überlegen, was zu tun sei, und kommen überein, die Räuber zu verjagen.

Der Hund steigt auf den Rücken des Esels, die Katze auf den des Hundes und der Hahn auf den Kopf der Katze. Dann stimmen sie ein lautes Geschrei an und brechen durch das Fenster ein. Die Räuber, die die vier Tiere für ein Gespenst halten, fliehen erschrocken. So kommen die Bremer Stadt-musikanten zu Essen und Trinken und einem Heim.

 

- Später in der Nacht, nachdem die Vier sich schlafen gelegt haben, besinnen sich die Räuber, ob man sich nicht zu schnell ins Bockshorn habe jagen lassen. Der Haupt-mann schickt einen Erkunder ins Haus.

 

Er gerät an die Katze, deren glühende Augen er für Kohlen hält, an denen er einen Kienspan entzünden will. Sie springt ihm speiend und kratzend ins Gesicht. Auf der Flucht beißt ihn der Hund und vom Esel erhält er einen Huftritt. Der Hahn, vom Lärm geweckt, ruft vom Balken herab sein Kikeriki. Der Räuber hält die Katze für eine Hexe, den Hund für einen Mann mit einem Messer, den Esel für ein Ungetüm mit einer Keule, den Hahn aber für einen Richter, der oben auf dem Dach sitzt und ruft: Bringt mir den Schelm.

So berichtet er den anderen. Die Räuber trauen sich nun nicht mehr ins Haus und so können die vier Stadtmusikanten es sich wohl gehen lassen.

 

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- Auch in einer anthroposophischen Deutung des Märchens wird der Esel als Vertreter des physischen Leibes gesehen, der Hund als der der Leibesorganisation – Ätherleib, die Katze als Vertreter der seelischen Organisation - Astralleib - und der Hahn steht für das Bewusstsein oder die Ich-Organisation.

 

- Die Bedeutung der bloßen Physis wird aber der Rolle des Esels in der Geschichte letztlich nicht gerecht. Der Esel hat im Märchen von den Bremer Stadtmusikanten eine schicksalswendende Bedeutung: Er gibt der Entwicklung den Anlass, indem er die anderen anspricht und ihnen vorschlägt mitzukommen, mit ihm beginnt das Märchen, er trifft als Erster die Entscheidung, seine Dienstbarkeit aufzugeben, weil sein Herr ihn wegen seines Alters loswerden will.

Ein Pferd hätte das möglicherweise hingenommen. Der Trotz des Esels aber ist bekannt.

 

- Esel und Pferd sind nahe Verwandte. Beide dienen als Last- und Reittier. Das stärkere und schnellere Pferd gewährleistet indes das bessere Fortkommen und dient auch im Krieg und als Kutschpferd. Es scheint verlässlicher als der Esel, der mitunter den Gehorsam verweigert. Denn im Unterschied zum Pferd sagt man dem Esel eine aus-geprägte Eigensinnigkeit nach.

 

- In der Bibel findet sich die Geschichte von Bileams Eselin. Sie weigert sich Bileam zu gehorchen und weiterzugehen, denn sie erkennt den Engel des Herrn mit dem Schwert auf dem Weg, den Bileam nicht sieht. Dreimal versagt sie den Gehorsam und wird dafür von Bileam geschlagen. Beim dritten Mal, so heißt es, löst Gott ihr die Zunge, so dass sie zu sprechen vermag und Bileam fragt, warum er sie schlage, da doch der Engel auf dem Weg steht. (4.Moses 22,23)

 

- Die Gehorsamsverweigerung und der Eigensinn des Esels scheinen in der Bibel gesegnet zu sein. Er ist das einzige sprechende Tier, von dem die Bibel erzählt.

 

- Der Trotz des Esels wird noch an anderer Stelle erwähnt. Über Abrahams unehelichen Sohn Ismael, das Kind seiner Magd Haggar, sagt der Engel, er werde gesegnet sein - und Er wird ein Mensch sein wie ein Wildesel. Seine Hand gegen alle, die Hände aller gegen ihn! Allen seinen Brüdern setzt er sich vors Gesicht. (1.Moses 16,12)  

 

- Dann gibt es die Weissagung des Propheten Zacharias über den Messias, den Friedenskönig, er werde auf einem Esel in Jerusalem einziehen. (Zach. 9,9)

 

- Am Palmsonntag, eine Woche vor Ostern, wird des Einzugs Jesu in Jerusalem gedacht, bei dem er auf einem Esel reitet und das Volk ihm mit Palmzweigen zujubelt.

 

 

-  Beim Esel wird eine seelische Eigenbewegung sichtbar. Zwar noch als Last- und Reittier vom Bereich der Zwillinge herkommend, äußert der Esel schon seelische Befindlichkeiten, die sich zunächst im Trotz, in der Weigerung, Befehlen und Gehorsamspflichten nachzukommen, bemerkbar machen müssen.

 

- Der Esel steht damit schon im Übergang zum Seelischen, dem Verbund des Krebses. Dessen Phase nicht ohne Grund im chinesischen Tierkreis als Ziege erscheint. Der Esel ist, anders als das Pferd, schwindelfrei und wie die Ziege klettert auch er. Er kann sich im Gebirge bewegen. Er gehorcht nicht und widersetzt sich den Regeln. Eigenwilligkeit zeichnet ihn aus. Damit den Übergang von Zwillinge zu Krebs angebend.

 

- Der Messias, angekündigt unter Saturn-Jupiter-Konjunktion in den Fischen, der Herr der Zeit, der selber in die Zeit gekommen ist. Adventsspruch Das ist der Übergang vom Steinbock zum Schützen, die obere Bewegung.

So reitet der Messias auf einem Esel in Jerusalem ein, oben der Übergang von Steinbock zu Schütze, die Ankunft in der Zeit, unten die Bewegung von Zwillinge zu Krebs, die seelische Ankunft, die Anwesenheit.

 

 

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- Die Formation, die die Tiere bilden, erinnert an die Anordnung der Elemente in der griechischen Schichtenlehre, die die Wirklichkeit in eine Ordnung von Seinsschichten fasst.

So ist das Sein vom Geist zur Materie hin in absteigende Stufen unterteilt.

Die jeweils obere Stufe zeichnet sich dabei im Verhältnis zur unteren durch größere Freiheit aus. Das Untere dagegen ist massiver und trägt das Obere.

Eine solch größere Freiheit weisen die Pflanzen gegenüber den Mineralien auf.

Sie sind zu einer gewissen Bewegung fähig, zum Wachstum und zur Formenbildung - von den Mineralien werden sie getragen.

 

- Das Tierreich ist wiederum zu größerer Freiheit fähig als das Pflanzenreich und wird von diesem getragen.

 

- Aristoteles wollte das Verhältnis der Schichten zueinander wie das Verhältnis von Reiter und Pferd verstanden wissen.

Er unterschied fünf Schichten des Seins. Die Quintessenz, das Fünfte Seiende oder der Aether, ist das höchste und wesentliche Element, das, selber unwandelbar, die anderen bewegt und in Beziehung bringt.

 

- Ihm kam es, im Unterschied zu späteren Auslegungen der Schichtenlehre, weniger auf den hierarchischen Aspekt dieses Gedankens als auf die Dynamik und Interaktion der Seinsschichten an.

 

- So wie bei den Bremer Stadtmusikanten.

 

- Das Verhältnis der Bremer Stadtmusikanten ist kein hierarchisches, sondern ein dialogisches Verhältnis.

 

- Die Bremer Stadtmusikanten sind zu viert.

 

- Das Fünfte Element ist ihr Zusammenwirken.

 

 

 

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Zwar handelt es sich bei Bileam um eine Eselin, die einen anderen Namen hat, jedoch ist es dieselbe Gattung wie der Esel. Das hebräische Wort Chamor - חמור für Esel enthält im biblischen Urtext die gleiche Silbe wie die Zahl Fünf - Chamesch – חמש. Die Wurzel scheint, im Sinne der seelischen Impulsation im Zusammen-hang mit der Wärmeempfindung zu stehen - warm - cham - חם.  Chamah -חמה ist die Sonne.

Das mit Chamor buchstabengleiche Chomer bezeichnet einen mörtelartigen Baustoff. Die häufige Übersetzung als Lehm wird dem nicht gerecht, da das Wortfeld auf einen prozesshaften, porigen Stoff hindeutet, so auch Chamez - Sauerteig, und über eine passive Material-haftigkeit hinausgeht. Vielleicht ein Gemisch von Lehm und einem Treibmittel oder Lockerungs-zusatz, etwa Strohhäcksel, das den getrockneten Lehmziegel leichter und tragfähiger machte und seine Wärmedämmung verbesserte.

 

 

(C) Herbert Antonius Weiler 2017          

 

 

 

 

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