und der Stier stößt nicht, weil er eben Hörner hat, sondern weil er stoßen will, hat er Hörner.

Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen in der Natur, 1836, S. 47

 

 

 

 

 

Identität und Homöopathie

 

 

 

- Eine treffliche Bemerkung zur naturwissenschaftlichen  Welterklärung findet sich bei Schopenhauer: "Der Stier stößt nicht weil er Hörner hat, er hat Hörner weil er stoßen will". -

- Der Satz stellt eigentlich das Prinzip der Homöopathie dar.  Schopenhauers Spott über die Naturwissenschaft läßt sich übertragen: Die Mistel hilft nicht bei Tumoren, weil sie Lektine enthält, sie enthält Lektine, weil sie bei Tumoren hilft. Das tut sie weil das ihrer Gestalt entspricht, nämlich indem sie ein separates System bildet. - 

- Die Homöopathie geht von Identität aus. Das So-Sein der Dinge wird nicht als Folge ihrer Eigenschaften betrachtet, sondern die Eigenschaften sind ein Ausdruck des Seins, sind Ausdruck der Identität. - 

Die stoffliche Beschaffenheit eines Medikaments ist für die Homöopathie nur Illustration, nicht das Wesentliche, sondern die Gestalt ist wesentlich.  Das nimmt sich aus wie die platonische Ideenlehre, geht aber im Sinne Thomas von Aquins darüber hinaus: die Idee ist nicht nur vor den Dingen, sondern in den Dingen*.

Der Physiker Richard Feynman beteuerte, die moderne Physik habe keineswegs seine sinnliche Wahrnehmung entwertet, sondern das Wissen um die atomare Struktur der Rose, das Zustandekommen der Farbe der Blüte im Wechselspiel zwischen Elektronenemission und Licht bereichere die sinnliche Erfahrung. Für Feynman besteht die Rose gewissermaßen in Wirklichkeit aus Atomen und das Rot ihrer Blüte besteht in Wirklichkeit aus Wellenlängen. Das vermeintliche Wissen, was ihm Apparate und Messungen vermitteln, scheint für ihn damit eine tiefere Wahrheit einzunehmen, als die sinnliche Wahrnehmung der Rose.

Dem hält Gertrude Stein entgegen: "Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose".

- Nichts von dem, was sich an Herleitungen und Bedingungen zur Rose anführen lässt, kann ergründen, dass sie ist. -

- Das war es, was Parmenides im Sinn hatte, indem er sagte, das Seiende sei unzerstörbar und unveränderbar, ein Geheimnis und der Vernunft nicht zugänglich. -

- Nicht Stillstand ist der Inhalt dieser Rede. -

 - Parmenides begründete es aus der Erkenntnis, nach der ein Nicht-Sein nicht denkbar ist, und das was ist, deshalb immer dagewesen sein muss und immer da sein wird. Veränderung sei nur eine Meinung. -

 - Zu dieser  Erkenntnis sei er durch eine Reise gelangt, die ihn vor das Tor der Scheidung von Tag und Nacht geführt habe. 

- Diese Istheit ist es, die Parmenides unverrückbar nennt, soweit ich ihn verstanden habe. Das So-Sein. Wir können die Herkunft eines Apfels verfolgen, ihn funktional ableiten aus Zuständen, da er noch nicht war - all das erklärt nicht, dass er ist.

- Man war damals wohl dabei, sich einen Begriff von der Zeit und von der Bewegung zu bilden. Und von dem, was die Griechen Ousia nannten, dem Bestehenden der Dinge, die Istheit, welche im Lateinischen zu esse wurde.

 - Im Deutschen wäre Ousia durch Wesen zu übersetzen, was dem Griechischen lautlich näher steht als das lateinische Wort.

- Parmenides' Fragmente erörtern das Nicht-Zeitliche des So-Seins der Dinge, dasjenige, das schlechthin nicht aus einer Entwicklung abgeleitet werden kann. 

- Gertrude Stein meinte dieses, wenn sie ihren berühmten Satz äußerte: Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose. Er ist im Sinne des Parmenides.

- Sie ist im Zeichen Wassermann geboren, der Tierkreisphase der Identität, Ihr geht es um das Wesen der Rose, Feynman wurde im Zeichen Stier geboren. er sucht die Rose aus dem Material heraus zu bestimmen.

- Heraklit spricht auch immer wieder von dieser Scheidung, dem Gegensatz. Von Tag und Nacht, Wachendem und Schlafendem. Es ist immer dasselbe, Wachendes wie Schlafendes,  Junges wie Altes. Das eine schlägt um in das andere, das andere wiederum schlägt in das eine um. 

- Er bezieht daraus die gegenteilige Aussage: Alles verändert sich. Wir steigen nie in die selben Fluten, wenn wir durch den Fluss waten. 

- Aber von der Veränderung können wir nur wissen, indem uns etwas stetig ist. 

- Die Rose, die verblüht und im nächsten Jahr wiederkommt, erkennen wir wieder. 

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Einwand zur Homöopathie in der Süddeutschen Zeitung:

Ebenso absurd ist die Vorstellung, mit jedem weiteren Potenzierungsschritt (also mit jeder weiteren Verdünnung) würde die Wirkung der Lösung sich "dynamisieren", sprich: verstärken. Falls dem grundsätzlich so wäre, müssten sich bei der Verdünnung die Wirkungen der im Wasser enthaltenen Bestandteile wie Natrium, Kalzium oder Eisen ebenfalls verstärken. Vielen Homöopathika liegen außerdem 35-prozentige Alkohollösungen als Ursubstanz zugrunde. Konsequenterweise müsste sich auch die Wirkung des Alkohols beim Verschütteln steigern. Das ist jedoch nicht der Fall. 

SZ, Guntram Colin Goldne, 8. Juni 2010

 

- Von naturwissenschaftlicher Seite wird gegen die homöopathische Ideenlehre häufig der Einwand erhoben, sie enthalte eine systemische Widersprüchlichkeit. 

- Das hömöopathische Verfahren der rhythmischen Verschüttelung einer Urtinktur in einer Trägersubstanz, etwa Wasser, würde die Verunreinigungen des Wassers ignorieren. Bei der Aufbereitung einer wässrigen Arnika-Lösung, Stufe um Stufe eins zu zehn verschüttelt, dürfte, so der Einwand, die Dichte der Arnikabestandteile schon nach wenigen Verschüttelungsstufen geringer sein als der Anteil an Verunreinigungsstoffen in den jeweils hinzukommenden 9 Teilen Wasser. Das homöopathische System würde sich also widersprechen, indem die Verunreinigungen nicht als mitpotenziert gelten.

- Warum sollten sie als mitpotenziert gelten? Es bleibt doch bei derselben, stets wieder zugeführten Trägersubstanz. Die Verunreinigungen kommen immer wieder dazu. Solange die Trägersubstanz nicht gewechselt wird, wird allein die Generation der Urtinktur potenziert.

- Der Einwand missachtet schlicht das System der Potenzierung, nachdem bei jedem Potenzgang immer der betreffende zehnte Teil, der mit neuem Wasser verschüttelt wird, auf die Urtinktur zurückgeht, dieser also stets eine neue Generation der Urtinktur darstellt.

- Nehmen wir als Verunreinigung Kalk, der ja im Trinkwasser vorkommt. Der Grund, warum es bei einer Verschüttelung von Arnika D1 nicht auch zu einer Verschüttelung von Trinkwasser-Kalk in D1 kommt, liegt darin, dass die Verschüttelung in Trinkwasser - mit seinen Kalkbestandteilen - erfolgt. Eine Verschüttelung der Trägersubstanz - mit ihren Verunreinigungen - in derselben Trägersubstanz - mit denselben Verunreinigungen, ist aus in der Sache liegenden Gründen nicht möglich. Trinkwasser ließe sich nur in einer anderen Trägersubstanz aufschütteln. Etwa in Alkohol.

- In der Scholastik war es üblich, dem Vortrag eines Gegenarguments eine so vollständige Darstellung des Arguments vorauszuschicken, dass dessen Vertreter gegen die Schilderung seiner Position keine Einwände mehr hatte und diese als verstanden erklären konnte. Erst dann wurde der Einwand vorgetragen. Eine Disziplin, von der auf Seiten der Naturwissenschaft gegenüber anderen Erkenntnissystemen keine Rede sein kann. Die Unterstellung eines Widerspruchs in der Homöopathie ergibt sich aus der Verweigerung des Denkens.

            

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Eine Krankenkasse, zu deren Angebot auch die Kostenübernahme für homöopathische Arzneimittel zählt, wurde deswegen über ihr twitter-Portal von Anhängern eines naturwissenschaftsgläubigen Skeptikervereins heimgesucht und kritisiert: Warum sie Homöopathie finanziere, da doch kein wissenschaftlicher Wirksamkeitsnachweis vorliege.

Die Krankenkasse antwortete mit der Gegenfrage, ob denn die Kritiker einen Nachweis der Nichtwirksamkeit zur Hand hätten. Dies führte zur öffentlichen Empörung, so jedenfalls in der Frankfurter Allgemeinen berichtet, die dazu anmerkte, dies sei keine saubere Argumentation, man könne nicht einfach die Beweispflicht umkehren.

Das Angebot der Krankenkasse basiert auf der Nachfrage von zwei Dritteln der Beitragszahler. Diese erwarten von der Kasse, bei der sie einzahlen die Begleichung der Kosten ihrer homöopathischen Therapie.

Die positiven persönlichen Erfahrungen der Versicherungskunden mit der Homöopathie, welche sich in dem Entgegenkommen der Krankenkassen niederschlagen, werden hierbei von Seiten der Naturwissenschaft als unberechtigt deklariert, als Täuschung oder Aberglauben abgetan oder ignoriert.

Das führt dazu, dass die Frage der Krankenkasse nach einem Nachweis der Nichtwirksamkeit und damit des Nachweises für die Ungültigkeit der persönlichen Erfahrungen der Betroffenen als "Umkehr der Beweispflicht" abgetan wird. Obwohl es sich tatsächlich gegenteilig verhält.

Dies ist die Anmaßung einer Entrechtung der persönlichen Erfahrung. Dieser Übergriff der Naturwissenschaft ist so grundsätzlich, dass er als selbstverständlich hingenommen wird: die Krankenkasse entschuldigte sich schließlich für ihre "unsachliche" Erwiderung.

Die Anmaßung folgt der Definition Bacons, der proklamierte, die Naturwissenschaft sei in der Rolle eines Richters und die Natur befände sich auf der Anklagebank. Die Metapher betrifft indes das Leben schlechthin: Die Erfahrung und Vergewisserung des Einzelnen wird als nicht beweisgültig vor der Anklagebank der Naturwissenschaft deklariert und damit letztlich als unberechtigt.  Es wird dem Menschen das Recht auf persönlicher Vergewisserung abgesprochen.

 

 

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Im Universalienstreit ging es um die Auffassungen der Nominalisten, nach der den Ideen keine Realität zukäme, sie nur Nomina, also vom Menschen ausgehend  seien und daher nach den Dingen - post rem. Dem entgegen betrachteten die Realisten die Ideen als ursächlich vor den Dingen  - ante rem, als das Reale, Bewirkende. 

Thomas von Aquin geht von beidem aus: göttliche Ideen, die vor den Dingen, und menschliche Zuschreibungen, die nach den Dingen sind. Als dritte Kategorie machte er Ideen geltend, die als ein vom Menschen zu erschließendes Wesentliches in den Dingen sind. Durch die Erkenntnis können sie anwesend, also Gestalt werden.

Dies entspricht jenem Akt in der Genesis, in dem Gott alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels vor den Menschen bringt, um zu sehen, wie er sie nennen würde, damit jedes lebendige Wesen den Namen trage, den der Mensch ihm gebe.  1 Mo 2,19

 

 

(c) Herbert Antonius Weiler 1995/2015 

 

 

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