Bezeichnungen wie „Beamtin“, „Lehrerin“, „Richterin“ oder auch „Bundeskanzlerin“ sind in Gebrauch, seit es Frauen in diesen Berufen gibt. Der Punkt ist, ob man noch und weiterhin bereit ist, zwischen der konkreten Person und der abstrakten Amts- oder Funktionsbezeichnung zu unterscheiden ...

Wenn ich krank bin, gehe ich zum Arzt. Sollte mein Arzt eine Ärztin sein, werde ich anschließend mit einiger Wahrscheinlichkeit sagen: Meine Ärztin hat mir empfohlen... In dem Fall beziehe ich mich auf die konkrete Person.  (...)

aus: WELT online, 21.07.2021 Es gibt kein richtiges Gendern von Nikolaus Lohse



 

Das Schwinden der Begriffe

 

 

- Das Bestreben des Wissenschaftsstaats, Urteilsbildung und Gewissheit über das allgemein verbindliche Weltbild ausschließlich Experten zuzuschreiben und dabei die persönliche Erfahrung des Menschen zu entrechten und schließlich zu verdrängen, gipfelt derzeit in der Erklärung einer Pandemie, von der ohne Expertenverlautbarung, Medienhysterie und behördliche Maßnahmen kaum jemand etwas wüsste. 

 

- Erkenntnistheorien und Erfahrungen, die nicht dem methodologisch reduzierten Weltbild der Naturwissenschaft entsprechen, wie etwa die Homöopathie, werden als Aberglaube, magisches Denken oder schlicht als im Widerspruch zu vermeintlichen Naturgesetzen diskreditiert.

 

- Erstaunlicherweise hat zur gleichen Zeit eine mediale Präsenz von Erzählungen zugenommen, die auf Magie und Versatzstücken mythologischer Gestalten basieren, bis hin zu der von Drachen, Göttern und Zauberern bevölkerten TV-Serie "Game of Thrones", die zum global beachteten Ereignis wurde und deren Fortgang in Feuilletons und Kulturspalten diskutiert wurde, als handle es sich um politische Geschehnisse.

 

- Dies, während in London und anderen Städten Busse mit der Aufschrift fahren: "Es gibt wahrscheinlich keinen Gott", damit eine Äußerung des Physikers Stephen Hawking zitierend und finanziert von der englischen Bright-Bewegung, einer Organisation missionierender Atheisten. 

 

- Das ist witzig. Wobei die Ironie des Satzes ungewollt sein dürfte.

 

- Auch in anderen Bereichen fällt die Diskrepanz zwischen offizieller ideologischer Ausrichtung und dem tatsächlichen Verhalten auf. So ist es zwar etabliertes Programm der Genderpolitik, geschlechtlich spezifische Verhaltensweisen, Vorlieben und Neigungen zu neutralisieren und als traditionelle Prägungen zu werten. Zugleich findet sich jedoch ein sich steigernder Geschlechtsdimorphismus bei den Konsumartikeln für Kleinkinder, etwa in der Mädchenabteilung der Spielwarenhäuser, deren Farbgebung eine Welt in Rosa erschafft. 

 

- Hierbei hat sich auch noch ein anderes Spektrum verschoben -  während im konkreten biologischen Bereich die Polarität relativiert oder aufgehoben werden soll, erfährt sie im abstrakten, begrifflichen oder grammatikalischen Bereich eine seltsame Überbetonung, indem das grammatikalische Geschlecht mit dem biologischen Geschlecht gleichgesetzt und durch es ersetzt wird.

Der Begriff des "Politikers" ist gegen "Politikerinnen und Politiker" ausgetauscht worden. In den Medien ist nicht mehr von Ärzten, sondern stets von Ärztinnen und Ärzten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Künstlerinnen und Künstlern die Rede.

 

- Oder von Schuhmacherinnen und Schuhmachern.

 

- Eine wesentliche, kaum beachtete Veränderung vollzieht sich hierbei im Hintergrund: Der übergeordnete Begriff des Schuhmachers, also die Idee des Schuhmacherhandwerks, wird ausgeblendet und die Bezeichnung auf die ausübenden Personen und damit auf die Ausübung reduziert. Der Ideenraum, das Abstrakte des Begriffs des Schuhmachers fällt weg. So auch, wenn beflissen "Studenten" durch "Studierende" oder "Demonstranten" durch "Demonstrierende" ersetzt wird.

Deutlicher noch wird dies anhand von Begriffen wie "Bürger" oder "Christen" und "Juden" oder "Atheisten", deren Gegenstand seiner Natur nach in einer Haltung oder einer abstrakten Zuordnung besteht. Wenn es mit belehrender Attitüde heißt "Jüdinnen und Juden", "Bürgerinnen und Bürger", "Christinnen und Christen" oder "Atheistinnen und Atheisten", so ist der Begriff nicht mehr durch seine übergeordnete Idee bestimmt, sondern auf die Tätigkeit der einzelnen Ausübenden beschränkt.

 

- Die Idee hat keinen Raum mehr.

 

- Der Kahlschlag scheut bislang vor Begriffen, die eine Ausübung nicht enthalten, die alleine in ihrer Idee bestehen. So wird auch der Deutschlandfunk schwerlich dazu übergehen können, trotz des Maskulinums "Mensch" künftig von "Menschinnen und Menschen" zu reden. Merkwürdigerweise ist auch das Femininum "Person" bisher von einer maskulinen Ergänzungsformel verschont geblieben, wie immer sie lauten könnte.

 

- Was hier geschieht, gebärdet sich als eine Neuauflage des Universalienstreits unter anderen Vorzeichen.  Der Streit zwischen Realisten und Nominalisten ging um die Frage, ob die Ideen, also die Universalien, Realien seien oder Nomina, nur Bezeichnungen. Eine Idee der Rose, im Sinne eines Begriffs des Wesentlichen, als Gestalt der Rose, wie sie die Realisten vertraten, gebe es nicht, so das Argument der Nominalisten, Es gebe nur die Eigenschaften aller einzelnen Rosen, die in der Erfassung gleicher Eigenschaften eben als Rosen benennbar seien. Ähnlich verhielte es sich mit dem Begriff der Menschheit. Der Begriff habe als solcher keine Realität, er bezeichne nur die Menge aller Menschen.

Wie die Universalien zur Massenfertigung wurden >>

 

- Damit bezieht sich der Begriff nur auf seine Erscheinung, auf seine Ausübung  Dort aber kann er kein Begriff mehr sein, sondern nur noch eine aufzählende Beschreibung. Er wird inhaltlos. Der Hinweis auf das Prinzip hat in der Sprache keinen Raum mehr.

 

                                                                                 

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(C) Herbert Antonius Weiler, August 2021