So sind die methodisch gefertigten Dinge der Industriezeit, da sie inhaltlich nicht gewachsen sind und sich ihre Realität nicht aus einem Gestaltwerden ergibt, eigentlich keine richtigen Dinge mehr, sondern es sind Wucherungen des im Zweckdenken anonymisierten Geizes, der sich verselbständigt hat und sich wie ein Virus gestaltlos an Gestalten anhaftet, um sie im Nachahmen zu zerstören.
Die Gegenwart der Dinge
Ist ein Stuhl bestimmt durch seinen Zweck oder ist er bestimmt durch etwas anderes, ihm Eigenes?
Ein Unterschied liegt darin, ob wir sagen, der Stuhl sei ein Zweck oder ob wir sagen, der Stuhl diene einem Zweck.
Neigen wir dazu, den Stuhl nur als Zweck zu sehen, so erkennen wir ihn letzthin nicht an als etwas, welches ein anderes ist, uns gegenüber, sondern wir nehmen ihn nur wahr als Sättigung unseres Bedürfnisses zu sitzen, als Nutzen für unsere Belange.
Letztlich negieren wir darin seine Existenz als Gegenstand.
Und schließlich können wir in der Konsequenz uns selbst auch nur als eine Mechanik von Zwecken begreifen, als Zweck von Zwecken, die von Zwecken bestimmt sind, wie im Leviathan des naturwissenschaftlichen Denkens angelegt, der sich kreisend in den eigenen Schwanz beißt.
Sagen wir nun, der Stuhl diene uns zum Zweck, so bekennen wir, dass der Stuhl ein Eigenes ist, welches uns freundlicherweise zum Zweck dient. Er ist uns ein Gegenüber, wir erkennen in ihm etwas, das zur Gestalt kommen will.
Was ist es, was die Dinge wollen? Was ist ihr Wesen?
Zu den Dingen in Beziehung treten, ihr Wesen erkennen, heißt, ihnen Namen zu geben.
In der Schöpfungsgeschichte wird der Mensch von Gott berufen den Tieren des Feldes und den Vögeln des Himmels ihren Namen zu geben:
ER, Gott, sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Hilfe machen, ihm Gegenpart. ER, Gott, bildete aus dem Acker alles Lebendige des Feldes und allen Vogel des Himmels
und brachte sie zum Menschen zu sehen, wie er ihnen rufe, als einem lebenden Wesen, dass sei sein Name..Und der Mensch rief mit Namen allem Herdentier und dem Vogel des Himmels und allem Wildlebenden des Feldes. 1 Moses 2,18, Übers. Buber / Rosenzweig
Die Begabung des Menschen die Dinge zu benennen, steht hier in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Polarität, denn danach erschafft Gott Adams weiblichen Gegenpart, Eva.
Im Universalienstreit machte Abelard geltend, der Name der Rose, die Beziehung zu ihrem Wesen, sei auch dann noch gegeben, wenn eine Rose real nicht mehr vorhanden sei.
Was aber ist das Eigene des Stuhls über seinen Zweck hinaus? Wie erkennen wir das Eigene oder Eigentliche des Stuhls, anwesend im einzelnen Stuhl?
Es ist sein Witz.
Die Welle kommt aus dem Wasser - und geht im auslautenden Vokal wieder zurück ins Wasser.
Der Witz kommt ebenfalls, wie die Welle, aus dem Wasser, aber er wird ein Einziges und fliegt.
Die Erkenntnis dieses Eigentlichen angesichts des Stuhls ist die Erkenntnis seiner Identität: Der Stuhl ist uns deshalb ein Stuhl, weil wir in ihm das Wesentliche eines Stuhls erkennen.
Eine Eigenschaft dieses Wesens ist, dass es auch in allen anderen Stühlen erkennbar ist. Daher der Begriff der Universalie in der Scholastik.
Nun sagen einige, das Wesen eines Stuhls gebe es gar nicht, weil dasjenige, was allen Stühlen gemeinsam sei, doch nur in der Wahrnehmung des Menschen bestehe.
Der Stuhl, so die Meinung, wisse nichts davon, dass er etwas Wesentliches mit allen anderen Stühlen gemeinsam habe. Geschweige denn, dass ihm ein Wesen innewohne, welches das Wesen des Stuhls zu nennen wäre.
Einen Witz hat der Stuhl bei dieser Sichtweise jedenfalls nicht.
Ohnehin bleibt dabei ungeklärt, wie der Mensch überhaupt zu der Erkenntnis einer Gemeinsamkeit aller Stühle kommen kann, auch wenn sie nur bei ihm liegt, also nominalistisch ist.
Aber woher will einer wissen, was die Stühle wissen oder nicht wissen?
Dschuang Tse stand auf einer Brücke als Hui Tse dazustieß.
Siehst du, wie die Elritzen springen, sagte Dschuang Tse, das ist die Freude der Fische.
Sagt Hui Tse: Du bist kein Fisch. Daher kannst du die Freude der Fische nicht wissen.
Sagt Dschuang Tse: Du bist nicht ich. Wie kannst du also wissen, dass ich nicht die Freude der Fische wisse?
Sagt Hui Tse: Stimmt, Ich bin nicht du und kann nicht wissen, was du weißt. Aber das weiß ich; dass du kein Fisch bist. Und daher kannst du nicht die Freude der Fische wissen.
Sagt Dschuang Tse: In deiner ersten Rede gingst du schon davon aus zu wissen, was ich weiß - und räumtest damit ein, dass ich auch die Freude der Fische wissen könne.
Gleichwohl: Ich weiß es aus meiner eigenen Freude über dem Wasser.
nach: Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse, Martin Buber
Das ist die Gegenwart der Dinge.
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Dieser Essay ist dem Buch entnommen:
© H e r b e r t A n t o n i u s W e i l e r