Mila, Mythos, Logos

 

Wie der Regen und der Schnee vom Himmel fällt

und nicht dorthin zurückkehrt, ohne die Erde zu tränken

und sie zum Keimen und Sprossen zu bringen,

dass sie dem Sämann Samen gibt und Brot zum Essen,

so ist es auch mit dem Wort, das meinen Mund verlässt:

Es kehrt nicht leer zu mir zurück, ohne zu bewirken,

was ich will, und das zu erreichen,

wozu ich es ausgesandt habe.

 

 

Jes 55, 10–11

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Im   Anfang  war  das   Wort, 

und  das Wort war bei  Gott,

und Gott war das Wort.

Dieses war im Anfang bei Gott.

Alles ward durch dasselbe

und nichts, von dem was ward,

ward ohne dasselbe.

 

 

 

Joh. 1,1

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

(Textauszug)

 

In den Übersetzungen des Prologs des Johannesevangeliums aus dem Griechischen ins Deutsche wird das griechische Logos  entweder belassen  oder mit Wort  übertragen. So heißt es meist:  Im Anfang war der Logos.... oder  Im Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott. Und Gott war das Wort...

 

Es stellt sich angesichts einer Unterscheidung von Mythos und Logos die Frage, welcher Begriff  im hebräisch/aramäischen Kontext des Johannes-Prologs den Ursprung bildet, von dem die griechische Begriffsbildung sich ableitet und ob das griechische Wort Logos  dem ursprünglichen Bedeutungskontext entspricht.

 

 

miltha  ist ein aramäischer Begriff für Wort, hebräisch mila. 

In der Peschitta,  einer aramäischen Bibelfassung des 5. Jahrhunderts, die auf ältere aramäische Texte zurückgeht , findet sich miltha  an jener Stelle im Prolog des Johannes, den in der griechischen Überlieferung das Wort Logos  einnimmt. Dort heißt es:  Im Anfang war das miltha. Und das miltha war bei Gott. Und Gott war das miltha...

Von einigen morgenländischen Kirchen werden die neutestamentlichen Texte der Peschitta als Urschriften der griechischen betrachtet.

Unabhängig davon kann der aramäische Kontext als Hinweis auf den usprünglichen hebräisch/aramäischen Begriff für das Wort  des Johannesprologs  und dessen Bedeutung gelten.

 

 

(...)

 

"Das Geheimnis ist nicht etwas, was nicht jeder weiß "   Jan Knap

 

Die Etymologie des Begriffs Logos geht im Griechischen zurück auf das Verb legein – sammeln, zusammenlegen, erfassen, er-zählen, welches die Bedeutung von sagen  erhielt.

Es scheint darin der Akt der Begriffsbildung auf, mit der die Idee oder das Wesentliche der Dinge erfasst und benannt werden kann. Substantiviert wurde legein  dann zum Logos, zum Wort. Der Logos wird  in der griechischen Geistesgeschichte auch die Idee der Ideen genannt. Das logische Denken als das begriffsbildende und daher begründende, zu- und ableitende Denken,

 

Anders die Herkunft des Begriffs des Mythos im Griechischen, dem ursprünglich ebenfalls die Bedeutung von Wort  zukommt. Sie liegt im Dunklen, ähnlich wie im Falle des lateinischen Begriffs der Person.

 

Zum Wortfeld des Mythos gehört die Mystik, von mystikos, - das Verborgene, das Geheime.

Der Mythos  als das Geheimnis in allen Dingen. Das Wort Geheimnis  stellt eine Annäherung an den Mythos dar. Anders im Falle des Logos. Dort kann Geheimnis kein Synonym sein.

 

Das Geheimnis kann jeder kennen, es ist jedoch nicht publizierbar. Nichts Elitäres, nur Eingeweihten Zugängliches ist ursprünglich damit gemeint, sondern das Geheimnis des Menschen. Und das der Dinge. Das Ureigenste, welches nicht verteilbar noch öffentlich ist, nur dem Empfinden zugänglich. Die  

Identität.  Von ihr heißt es im Psalm: "Errette mein Einziges vor der Gewalt der Hundemeute " (Ps. 22,20).

 

 

Naheliegend ist die Herkunft der Worte Mythos und mystikos  aus dem hebräischen Adjektiv musthar - מוסתﬧ -verborgen, geheim. Der griechische Buchstabe Ypsilon geht auf das aramäisch/hebräische Waw zurück. Ein Zeichen, das für V als auch für U steht. Das Ypsilon wurde dementsprechend zunächst als U gesprochen. Erst später wandelte sich der Laut zu Ü.  Beide Begriffe lauteten ursprünglich Muthos und mustikos.

- Wolfgang Döbereiner ordnet das U dem Zeichen Fische und seinem Vertreter Neptun zu. Demnach wäre das M der Laut, der das U aus dem Ungeteilten des Zeichens Fische herauszieht, es hebt. Der Urheber.

Auch die hebräische Wurzel  mosch - מוש,  in den Worten moschech herausziehen, wie auch Gesalbter - moschiach - (Messias)  stehen in diesem Zusammenhang. 

So auch der Name des  Moses- moscheh משה  der  im Hebräischen auf der Wurzel für das Verb herausziehen  basiert und der im Falle des Moses, so Martin Buber, gleichermaßen Aus dem Wasser Herausgezogener, als auch Herauszieher  bedeutet.

 

 

Da das griechische Alphabet auf dem semitischen Aleph-Beth basiert, und in der hebräischen Etymologie der erste Buchstabe eines Wortstamms oft die Wurzel angibt oder von sinngebender Bedeutung ist, kann auch im Falle des Wortes Mythos das griechische My - Μ in seiner Herleitung vom semitischen mem - מ  Auskunft geben über den Hintergrund des Wortfeldes.

 

 

In der semitischen Buchstabenreihe besitzt jeder Buchstabe auch eine Bildbedeutung, die in der griechischen Adaption des Aleph-Beth nicht mehr enthalten ist. Sie leitet sich ab aus der früheren phönizischen, noch bildhafteren Darstellung der Schriftzeichen. 

 

Der Buchstabe mem,  aramäisch majobedeutet Wasser. 

Das ursprüngliche phönizische, sowie althebräische Zeichen bestand aus einer Wellenlinie, dem Bild des Wassers:

In der späteren hebräischen Quadratschrift änderte sich seine Gestalt, מ, so auch in der griechischen Schrift -  Μ.

Das gebräuchliche hebräische Wort für Wasser lautet Maim -  מ׳ם.

 

Die hebräische Sprache enthält eine etymologische Transparenz, in der die Verwandtschaften und Bedeutungszusammenhänge  der Worte sehr deutlich präsent sind.

So erscheint das Wort Maim in dem hebräischen Wort für Himmel. Es lautet  SchaMaim - שמים

 

Wörtlich übersetzt bedeutet Schamaim die dortigen Wasser, sinngemäß die oberen Wasser. Das ortszuweisende Präfix  scham - dort   bildet hierbei eine grundsätzliche Aussage, im Sinne von jenseits der Erscheinungen, ähnlich wie es sich im Deutschen mit dem Wort  jenseits verhält, welches neben der konkreten ortszuweisenden Anwendung auch eine metaphysische Bedeutung hat.

 

 

 

 

 

Der Laut 

 

Die Bildbedeutung des Buchstabens mem - מ,  als Wasser, läßt deutlich werden, wie das M an den Ursprüngen der Sprache mit dem Element des Wassers assoziert ist: der Laut bildet noch keinen Hauch. Es ist der einzige Konsonant, der bei noch ungeöffneten Lippen gesprochen werden kann. Er kommt aus dem Urgrund der Stille,  entsprechend dem noch ungeteilten Wirkenden des Wassers.

Im M hat die Stille einen Laut angenommen, den ersten.

Der noch im Verborgenen, mit ungeöffnetem Mund, in der  Kehle, noch ohne Beteiligung von Zunge, Zähnen oder Lippen gebildete Laut des M weist auf ein Wirkendes, das zum Ursprung drängt, zur Entscheidung. So auch die Lautäusserung hm als vorausgehender Ausdruck des Bedenkens und Klärens.

 

Rudolf Steiner ordnet in seiner Reihe der Zwölf Urkonsonanten das N dem Tierkreiszeichen Fische zu, das M dem Wassermann und das L dem Steinbock.  

Im Aramäischen ist majo - das  Wassermatro - der Regen,  mimro - das Gedicht, mamlo - die Rede, miltha/mila - das Wort.

 

Das hebräische Milah - das Wort, das aus den oberen Wassern hervorgeht.

 

So auch der griechische Mythos. Aus den oberen Wassern geht er hervor, niederkommend in den Gestalten.

Tauet Himmel den Gerechten, regnet Wolken ihn herab, heißt es im Adventslied. (Jes. 45,8)

 

 

                                                                                    ...

 

 

 

In der Münchner Rhythmenlehre steht der Wassermann für den Mythos, der Steinbock für das Knie in die Zeit. 

 

Philon von Alexandrien hatte den Logos den Teiler genannt, der den Jahreskreis in die vier Jahreszeiten und die zwölf Tierkreisphasen teilt. 

 

Wird der Ursprung im Wassermann nicht zugelassen, bleibt der Steinbock ohne Anfang. An die Stelle des Wassermann gerückt, soll die Bewegung, die Kinesis, zu ihrem eigenen Anlass gemacht werden, der Logos wird zur Logistik, zum kreisenden Verkehr als Selbstzweck. Die Zeit ursprunglos ohne Anfang. Der falsche Logos. Das ist das Bild des Leviathans, der sich kreisend in den eigenen Schwanz beisst. 

Von Hobbes mit dem Staat identifiziert. 

 

 

Ohne den Mythos kann dem Logos in der logischen Stringenz ein Zwingendes anhaften - der Mythos zwingt niemals. 

 

Der ursprüngliche Logos ist an den Mythos gebunden. Er ist entweder der Logos des Mythos oder er ist nicht mehr der Logos.

 

Ein erklärter Witz ist nur noch selten witzig. 

 

 

 

 

Nicht ohne Grund ist die allseits geteilte wissenschaftliche Annahme über den Beginn des Universums von der Vorstellung eines Urknalls geprägt, dem Bild einer Saturn-Uranus-Blockierung, in der der verdrängte Uranus als Explosion erscheint. 

In der Vorstellung eines Urknalls ist die Zeit bereits vorausgesetzt. Entsprechend dem Bild des kreisenden, sich in den eigenen Schwanz beißenden Leviathans wurde die Frage, was vor dem Urknall gewesen sei, von Stephen Hawking mit der Frage verglichen, was nördlicher als der Nordpol sei.

Das ist die Vorstellung von der Zeit als ein in sich geschlossenes Kreisen, ohne Anfang und ohne Gestalt. wo der Wurm sich dreht. In der Antike noch als Drache dargestellt, der sich in den eigenen Schwanz beißt, im  Zeitalter der Naturwissenschaft als Descartes'  Ideale Maschine,  einer  sich selbst begründenden kausalen Mechanik.

 

 

 

 

Das Wort als Urprinzip der Schöpfung war indes keine Erkenntnis des Griechentums, sondern schon im Judentum ein geläufiger Gedanke. In der Genesis heißt es: Gott sprach es werde ... und es ward.

 

Im hebräischen Urtext der Bibel finden sich drei Begriffe für Wort, mit je unterschiedlicher Konnotation: Dawar, Amar und Milah.

 

Es stellt sich die Frage, welchen hebräischen Begriff  Johannes anstelle des späteren griechischen Logos im Sinn hatte und ob nicht ein hebräischer Kontext oder eine hebräische Fassung Aufschluss gibt.

 

Das Wortfeld von Mila bezieht sich mehr als das der beiden anderen Bezeichnungen, Amar und Dawar, auf die Beziehung.

So hat es auch die Bedeutung des Ausfüllenden -  milui.  Das Wort schafft den Raum, den es ausfüllt.

Der Begriff mila enthält die Wurzel mul - מול, die das Verhältniswort gegenüber bildet. So verweist milah auf das Gegenüber, das Entgegengesetzte, die Gegenwart, bedeutet aber auch Versprechen, Bund, sowie Begrenzung oder Beschneidung - Brit Milah.

 

Es enthält die Distanz, als auch das, was die Distanz ausfüllt, gimul die Wohltätigkeit. Diesem Thema der Abgrenzung, die die Begegnung enthält, widmet sich Martin Buber in seinem Werk Urdistanz und Beziehung. Die Urdistanz ist der Ursprung der Polarität.

Das Verhältnis von Mythos und Logos drückt sich aus im Verhältnis der Laute M und L.

In dem Wort Milah öffnet sich das noch hauchlose M zum Vokal um dann zum L zu leiten. In Mila sind Mythos und Logos in der ihrem Verhältnis gemäßen Folge enthalten.

 

Die Worte mul und Milah geben an, wie das M über einen Vokal in das L mündet, das Gelenk in die Zeit bildet.

Der Logos ergibt sich aus dem Mythos, so wie in mul und Milah dem M das folgt.

 

Der Mythos bildet den Rückzug der Urwasser zur Peripherie. In der Mitte entsteht das Land. 

So lässt der Wassermann den Stier entstehen. 

 

Der Logos des Mythos bezieht sich auf die Grenze - die von Wasser und Trockenem, von Innen und Außen, die von Früher und Später.

Daher heißt es Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde und erst danach folgt Gott sprach...

Die Begrenzung, das Gegenüber schafft das Wort. Und das Wort schafft das Gegenüber. Die Gegenwart.

 

Darin liegt der Sinn des Wortes milah/miltha in der aramäischen Fassung des Johannesprologs.

 

 (...)

 

(c) Herbert Antonius Weiler 2015

  

Zur Regensburger Rede des Papstes  >>


Dies ist ein Textauszug. Der Essay findet sich in dem Buch: 

Warum Moses das versprochene Land nicht betreten durfte

Essays und Betrachtungen

 

>>