Karosserie 

 

und Verkleidung

Ein Wesensmerkmal der Dinge, welche die Industriegesellschaft und die mit ihr verbundene Automatisierung hervorgebracht hat, besteht, neben der Massenfertigung, im Aufkommen der Karosserie, der Verkleidung.

Viele der industriellen Dinge, mit denen wir Umgang haben, benötigen eine Karosserie; das Auto, der Computer, die Bohrmaschine, der Küchenmixer, der Füllfederhalter, der Kugelschreiber, der USB-Speicherstab, das Mobiltelefon - all diese Dinge bedürfen einer Hülle. 

Wenn etwas verhüllt oder verkleidet ist, so der Sprachgebrauch, erscheint es nicht, als das, was es wirklich ist.

Was ist die Wirklichkeit der verhüllten Dinge?

Und warum bedurften die vorindustriellen Dinge nicht der Verkleidung?

 

Die Notwendigkeit einer Verkleidung begann mit der mechanischen Uhr.

Ein automatisierter Vorgang, wie er im Uhrwerk vonstatten ging, musste geschützt werden. Der Ablauf des Ineinandergreifens der Zahnräder und Hebel war leicht zu stören. Daher bedurfte es eines Gehäuses, das den Vorgang vor Eingriffen schützte. Wie bei den Lebewesen entstand ein Inneres und Äußeres.

Ansonsten hatten die vom Menschen begehbaren Dinge, wie Häuser und Gärten, ein Innen und Außen. Beim Uhrwerk stand es gewissermaßen für sich.

 

Die Andeutung der Unterteilung war schon vorher gegeben, auch bei einem offenen Werk, wie es an Kirchturmuhren vorkommt, hat die Uhr ein Äußeres, das aus Zeiger und Ziffernblatt besteht und ein Inneres, das die Mechanik beherbergt. 

Ihre Form ist nicht das Bild ihrer Tätigkeit. Im Innern greifen Zahnräder ineinander, kleine Hebel setzen die Bewegung aus und wieder ein, stoppen ihre Drehung oder geben sie frei. All dies ist im Blick auf das Ziffernblatt und die Bewegung der Zeiger nicht enthalten.

 

Anders ein Hammer, eine Zange oder ein Messer. Ein Hammer ist das Bild dessen, was man mit ihm tut. In den Mythologien schwingt der Donnergott einen Hammer. 

Ebenso Zange und Messer. Es sind Werkzeuge. Heidegger meint, sie zeugen vom Werk.

Dass ein Hammer keiner Verkleidung bedarf, liegt auf der Hand. Zwar kann das Messer in einer Scheide stecken, nicht aber während des Gebrauchs. Das wäre widersinnig.

Hammer, Zange und Messer sind grundlegende Werkzeuge des Menschen. Sie zu verkleiden wäre ihrer Handhabung und ihrem Dienst abträglich. 

 

Die Verkleidung kommt erst mit der Maschine ins Spiel, wenn verselbständigte Vorgänge des Schutzes vor Störung durch den Menschen bedürfen. 

 

Oder wenn es der Mensch ist, der vor den sonst offenliegenden maschinellen Gewalten geschützt werden muss. Etwa bei Kraftmaschinen in der Fabrik oder im Autoverkehr.

 

Zu den weniger bekannten Texten Franz Kafkas gehört eine Abhandlung, die er im Rahmen seiner Tätigkeit bei der Arbeiter-Unfallversicherungs-Anstalt, über jene schlimmen Arbeitsunfälle schrieb, die im Zusammenhang mit den damals freilaufenden Treibriemen der Fabrik-Maschinen auftraten. Er entwarf Vorschläge, wie sie zu verhindern seien. 

Es findet sich darin ein Hintergrund zu den Werken Kafkas, indem diese das Leben des Einzelnen in der Ausgeliefertheit an die anonymen Regelungen, Verrichtungen und Maßstäbe einer zur Maschine gewordenen Gemeinschaftsform beschreiben.

 

Jede Verhüllung zeigt eine Unvereinbarkeit an, ein Spannungsgefälle. Die eingesperrte Explosion des Automotors, die Geschwindigkeit der Fortbewegung, die er ermöglicht, sie sind nicht im Fluss, nicht vereinbar mit der Umgebung und stehen im Spannungsverhältnis zu ihr.  

Ein Spannungsverhältnis, das sich zuweilen im Unfall entlädt. Etwa beim Aufprall auf einen Baum. Hierbei ist das bislang karosserieverhüllte Ding und seine Bewegung wieder in ein Verhältnis zur Umgebung gesetzt. Es fällt aus der Manie, es kommt nieder. 

 

Die Form eines Autos ist erst nach einem Unfall wirklich fertig. Peter John  

Die Verformung der Karosserie eines Autos, etwa nach einem Auffahrunfall,  hat etwas Monumentales, sie ist stimmig.                              

Vollendung einer Karosserie

Es ist das Bild des Sturzes aus der Manie. Etwas kommt zur Vollendung und damit zur Ruhe.

Indem Vorgänge zu groß und zu gewaltig sind und ihn schädigen würden, käme er mit ihnen in Berührung und sie deswegen verhüllt werden müssen, wurde das Maß des Menschen verlassen. 

Ebenfalls verloren gegangen ist es, zur anderen Seite hin, wenn sie zu klein und zu empfindlich sind und er sie stören würde. 

 

Im Falle der elektronischen Technik haben die Vorgänge nicht nur das Maß der Handhabung längst verlassen, sondern auch das der sinnlichen Anschauung, die eine mechanische Armbanduhr oder ein Auto noch bieten.

Was hingegen in einem USB-Speicherstab vor sich geht, ist der sinnlichen Anschauung entzogen.

 

Die Verkleidung geht mit der Automatisierung einher. 

Die vorgebliche Selbstbewegung, die den Automaten auszeichnet, bedarf der Abgeschlossenheit. Die Selbstbewegung muss folgerichtig zum Selbstbezug und zum Selbstzweck werden. 

Das, letztendlich, ist das Bild der Karosserie.

 

Auch der kleinste technische Arbeitsvorgang verbraucht mehr an Kraft, als er hervorbringt ... 

Die Technik schafft keinen neuen Reichtum, sie baut den vorhandenen ab.

Die Perfektion der Technik  F. G.  Jünger

 

Dinge, die Raum und Zeit einnehmen, ohne gewachsene Gestalt zu sein, müssen, um sich zu erhalten, von der Kraft, vom Raum und von der Zeit des Gestalthaften zehren und Gewachsenes verbrauchen.

Ein Innen und ein Außen zu haben - und dessen Mittlung zu sein - ist eine Wesenseigenschaft des Lebendigen. Indem die Dinge der Industrie ein Innen und Außen benötigen, weil sie, vom Menschen abgeschlossen, nachahmend eine lebensähnliche scheinbare Eigenbewegung vollbringen, aber keinen Anfang haben und nicht gewachsen sind, müssen sie Leben verbrauchen.

 

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(C) Herbert Antonius Weiler, 2016