Hitlers Scheitel

 

Gegen Ende der neunzehnhundertsechziger Jahre stellte sich ein Mann mit dem Vornamen Adolf als Abgeordneter für die damalige NPD zur Wahl, der ehemals pommersche Gutsbesitzer Adolf von Thadden.

Die Wahlplakate in Stadt und Land zeigten ein großes Schwarz-Weiß-Portrait des Namensträgers auf rotem Grund mit weißer Schrift. Nach kurzer Zeit fanden sich darunter Aufkleber von Gegnern der Partei ein mit der Bemerkung Ein Adolf genügt. Dazu eine Grafik wie ein Piktogramm – ein Kreis mit Schrägstrich oben rechts und einem kleinen schwarzen Balken in der unteren Hälfte. 

Damit war der Bezug zum ersten Adolf in unmissverständlicher Weise klargestellt: Adolf Hitler, der Führer des nationalsozialistischen Deutschlands, verantwortlich für den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust. Der Abgeordnete der nationalistischen NPD sollte also in dieser Hinsicht der zweite Adolf sein. Medien sprachen damals vom belasteten Vornamen

 

Das Bemerkenswerte dieses Aufklebers der Gegenwahlwerbung besteht in der Reduktion: Das Piktogramm, nur aus einem Kreis und einem Strich bestehend, wird auch ohne den Hinweis auf den Vornamen  eindeutig als Portrait Hitlers erkannt. 

Es war, soweit bekannt, das erste Erscheinen des Hitler-Piktogramms, das sich seither immer wieder als Aufkleber oder als Buchillustration wiederfindet.

 

Tatsächlich lässt sich die Figur noch weiter reduzieren, der Umriss kann wegfallen, es genügt ein Schrägstrich für den Scheitel und ein unterer Querstrich für das Hitler-Bärtchen, 

das ja ohnehin als Hinweis auf eine Gleichsetzung missliebiger Personen mit Hitler regelmäßig Verwendung findet, etwa als Bundeskanzlerin Merkel wegen des von Deutschland forcierten Spardiktats in griechischen Zeitungen mit Hitlerbart dargestellt wurde.

 

Wesentlich für das Piktogramm sind die beiden aufeinander bezogenen Elemente des oberen Schrägstrichs und des unteren Balkens. Das eine kommt nicht ohne das andere aus. Der Schrägstrich des Scheitelwurfs alleine in einem Oval wird kaum mit Hitler identifiziert.  Der Zweifingerbart alleine erinnert eher an eine Cartoon-Figur.


 

Nur die Kombination von Balken und Schrägstrich ergibt den Wiedererkennungseffekt. Dies sogar soweit, dass eben auf die Kontur als Oval oder Kreis verzichtet werden kann.

Das ist erstaunlich.

Keine andere geschichtliche Gestalt lässt sich auf diese eindeutige Weise mit nur zwei Strichen darstellen. Auch wenn sich das Aufkommen der Massenmedien hier als Erklärung anbietet,  weil Hitlers Portrait in einer Weise massenpräsent werden konnte, wie es im Falle Napoleons rein technisch noch nicht möglich war, weist Napoleons Erscheinung kaum jene piktographische Umsetzbarkeit auf, mit der das Portrait Hitlers zum Zeichen werden konnte. 

 

 

Hier wird offenbar, wie die Verbreitung durch die Massenmedien als eine Spiegelung des Kollektivs in Wechselwirkung steht – das zu Verbreitende figuriert im Sinne der Wiedererkennbarkeit selber als Symbol – wird zum Logo - und die kollektive Spiegelung bannt es in ein Zeichen, gestaltlos und ohne Leben. David Bowie formulierte dies, indem er Hitler als einer der ersten Rockstars bezeichnete.

 

Das Hitler-Piktogramm birgt dabei als Rune durchaus eine Aussage. 

So ist es unabdingbar, dass die Strähne von der Mitte  nach rechts unten zur imaginären Horizontlinie hin verläuft. 

In der Tat fällt Hitlers Scheitel auf den Gemälden und Fotos fast ausschließlich von links oben nach rechts unten; als Rune der zur rechten Seite hin fallenden Strähne.

 

 

Die Strähne wird im Bild zu einer fallenden Linie. Fallend erscheint sie, weil die linke Seite für das Eigene, den eigenen Ort steht.

Eine Linie wird als ansteigend empfunden, wenn sie nach rechts hin höher wird. Sie gilt als absteigend, wenn sie sich zur rechten Seite neigt. Verkehrsschilder, die vor Steigungen oder Neigungen warnen, basieren auf dieser Zuordnung.


 

Der Beginn des Weges ist links, seine Richtung geht nach rechts. 

Die rechte Seite erscheint als offene Weite, sie bildet den Raum, das Gegenüber. Von rechts oben kommt, was auf uns zukommt, was wir empfangen. Nach rechts geht die Richtung, in die wir uns bewegen, der Weg dessen, was von uns ausgeht, dessen Anfang bei uns ist.

 

In der Geschichte vom nächtlichen Fischzug im Johannes-Evangelium weist Jesus die Jünger an, nachdem sie zuvor die ganze Nacht nichts gefangen haben, noch einmal hinauszufahren, aber nun das Netz auf der rechten Seite des Bootes auszuwerfen. Von den Hundertdreiundfünfzig Fischen >>

 

Diese Weisung deutet einen Wandel an. Der Mensch ist nicht mehr nur Empfangender, sondern er hat einen eigenen Anfang. Er tritt in Begegnung. 

Der Sinn, der bisher von außen an ihn herantrat, ist ihm innegeworden. 

In der Begegnung, der Erkenntnis des Wesens im Anderen, findet der Mensch den Anfang. Hier wird er zur Person. 

Hierin mag der Grund liegen, warum sich im Verlaufe der griechischen Adaption der semitischen Buchstaben die Richtung der Schreibweise änderte: Die hebräische und aramäische Schrift verläuft von rechts nach links – der Mensch ist ein Empfangender; die Griechen hatten die Schreibrichtung zunächst übernommen, änderten später den Verlauf und schrieben von links nach rechts, der Entwicklung des autonomen Denkens in der griechischen Philosophie folgend, mit der der Mensch selber ein Zeugender geworden war.

 

Bei den Verkehrsschildern, die vor Neigung und Steigung warnen sollen, steht die steigende oder fallende Linie in einem bestimmten Verhältnis zur dargestellten Horizontlinie – die Graphik bildet einen Keil, dessen Zulauf jeweils rechts oder links ist.

 

 

 

Das Bild der fallende Linie basiert auf der Teilung des Feldes in die Vertikale des Links und Rechts sowie in die Horizontale des Oben und Unten.

Das ist die Teilung der vier aristotelischen Quadranten, der vier Gründe des Seins: der causa materialis, dem stofflichen Urgrund, der causa formalis, dem formschaffenden Urgrund, der causa efficiens, dem gegenüberstellenden, begegnenden, bewirkenden oder begebenden Urgrund und der causa finalis, dem erwirkenden, ergebenden Urgrund.

Die vier Gründe des Aristoteles bilden auch die vier Quadranten der Astrologie, entsprechend der vier Jahreszeiten und der vier Tageszeiten Wolfgang Döbereiner, Die vier Quadranten, Astrologisch-homöopathische Erfahrungsbilder >>

 

 

 

Bei der fallenden Linie des Scheitels von Hitlers Piktogramm steht diese in Bezug zum kurzen Balken des Bärtchens unterhalb der imaginären Horizontlinie. 

 

 

Der Scheitelwurf erscheint hierbei stark fallend, gleichsam von der oberen Mitte auf den Horizontpunkt rechts. Die Neigung wird so zur extremen Abwärtsbewegung. Sie erscheint zugleich als Riegel, mit dem der dritte Quadrant, der begegnende Urgrund und damit die Offenheit der Begegnung abgeriegelt wird. Wie ein Ausschluss des Geistes.

 

Deutlich wird dies anhand der unterlegten Zeichnung der vier astrologischen Quadranten, bei der der dritte Quadrant, die Öffnung zum Geiste, wie weggestrichen erscheint. Einen Riegel gegen den dritten Quadranten, gegen den begegnenden Urgrund bildet hier die Linie des Scheitels im Piktogramm.

 

 


 

Auf Hitlers Horoskop gelegt, mit dem Verbund und insgesamt sechs Planeten im dritten Quadranten,  erscheinen diese durch den Riegel wie verdrängt und damit wie fremdbesetzt. 

Das ist die zur Spiegelfläche und zur Bündelung des Kollektivs okkupierte Begegnung.

 

Wobei es hier nicht um den Scheitelwurf als solchen geht, sondern um dessen Neigung zur Zeichenhaftigkeit im Falle Hitlers.

 

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- Was bedeutet die Dohle auf Hitlers Schulter?

 

- Der germanische Gott Odin wurde mit den beiden Raben "Hugin" und "Munin" dargestellt – sie stehen für "Denken" und "Erinnern". Vielleicht ein Versuch an die germanische Mythologie anzuknüpfen.

 

- Aber bei Hitler ist es nur ein Rabe.


- Mit zwei Raben auf den Schultern hätte es schon merkwürdig ausgesehen.

 

- Es war nur der Rabe für die Erinnerung.  Das Denken ist nicht dabei. Der Wolf hatte Rotkäppchens Großmutter verschlungen und sich mit ihren Kleidern und ihrer Brille in ihr Bett gelegt. Vorgebend, er vertrete das Gemüt und die Erinnerung der Herkunft.

 

- Es wäre zu prüfen, inwieweit sich bei einer geringeren Neigung des Scheitelwurfs im Piktogramm noch die Assoziation zu Hitler einstellt.

- So wirkt es jedenfalls freier, hat eine Öffnung. Endet dagegen die Linie auf dem Horizont oder darunter, scheint die Öffnung verschlossen. Darin liegt, in Kombination mit dem Schnurrbart-Balken, eine Beklemmung. Es vermittelt eine Bedrohung. Wie sie vom Hausmeister einer Mietskaserne ausgehen könnte: "Jetzt wird aufgeräumt." 

 

- Entsprechend der  Reinheitsvorstellung, die von der Pluto-Neptun-Konjunktion in Haus Acht ausgeht. Im Spiegel zur Sonne der kollektive Zwang.

 

- Der Schnurbart steht für die vorgegebene Volkstümlichkeit. Im Horoskop an der Stelle der Mond-Jupiter-Konjunktion im Steinbock in Haus Drei. Bei einer Volkstümlichkeit mit geschlossenen Fenstern wird es schwül.


- Es finden sich Haustiere, Katzen und Hunde mit dieser Zeichnung des Fells.

 

 


 

 

Verblüffend ist, wie sie damit jegliche Niedlichkeit verlieren.

 

- Die Bild-Zeitung brachte das Foto einer solchen Katze mit Hitler-Zeichnung. "Ich kann nichts dafür" stand darunter. Es liege an den Genen, klärte der Artikel auf.

 

 

 

- Auch bei Chaplins Figur als Piktogramm bedarf es nur wenig mehr an graphischen Elementen

 

- Die Wiedererkennung ist hierbei nicht unmittelbar wie im Falle Hitlers, sondern verlangt eine Interpretation der Zeichen. Es sind schon erheblich aufwendigere Mittel. Nicht nur  ein einfacher Strich sondern Locken und  sogar ein Hut kommen zum Zweifingerbart hinzu.

Hitlers Piktogramm ist dagegen eine Rune. 

 

- Wobei Chaplins Figur gezielt auf die filmische Massenwirkung und die Wiedererkennung hin konzipiert war.

(...)

 

 

 

 

(C) Herbert Antonius Weiler 2018