Die Söhne Ismaels
- Die Mehrzahl der Araber gilt heute als muslimisch und Araber werden, indem der Islam aus der arabischen Gesellschaft hervorging, mehr oder weniger mit dieser Glaubenszugehörigkeit identifiziert. Dessen ungeachtet besteht die Mehrzahl der Muslime heute aus Nicht-Arabern und zugleich gehört ein anderer Teil der Araber, die arabischen Christen, zu den ältesten christlichen Gemeinschaften.
Auch stellt der Islam seit seiner Entstehung im siebten Jahrhundert eher eine kleinere Zeitspanne der Geschichte der Araber dar. Nach biblischer Auskunft und der eigenen Identifizierung geht ihre Herkunft auf Abraham und seinen Sohn Ismael zurück. Damit beginnt sie über zweitausend Jahre vor der christlichen Zeitrechnung.
- Sarai, die Frau des Abram, hatte wegen ihres Alters und der damit verbundenen Befürchtung, kinderlos dem Ende des Lebens entgegenzugehen, beschlossen, Abram möge zu ihrer ägyptischen Magd Hagar gehen, um mit ihr einen Nachkommen zu zeugen. So geschah es und Hagar wurde schwanger. Da sie sich nun, wie es heißt, verächtlich gegenüber der kinderlosen Sarai verhielt, wies diese sie in ihre Schranken. Aus diesem Konflikt floh Hagar in die Wüste. Dort trat ihr ein Engel entgegen, der ihr gebot, zurückzukehren. Er sprach zu ihr: "Siehe Du bist schwanger und Du wirst einen Sohn gebären, den sollst Du Ischmael nennen, denn der Ewige hat Dein Jammern erhört". Ischma El bedeutet: Gott hört.
Des weiteren sagt der Engel. "Er wird ein Mensch sein, wie ein Wildesel. Seine Hand gegen jedermann. Und jedermanns Hand gegen ihn. Wohnen wird er im Angesicht / gegenüber seinen Brüdern."
Hagar kehrte zurück zu Abram und gebar den Ismael. Genesis, 16:1-15
- Später verheisst Gott Abram und Sarai dann die Geburt eines eigenen Sohne, des Isaak. Mit ihm soll der Heilige Bund geschlossen werden. Der Name Abrams wird zu Abraham, das heißt "Vater der Völker" und der Sarais zu Sarah, das heißt "Fürstin".
Aufgrund der entstehenden Rivalität zwischen Ismael und Isaak schickt Abraham seinen Sohn Ismael und dessen Mutter Hagar fort. Gott verspricht ihm jedoch, auch die Nachkommen des Ismael zu einem großen Volk zu machen. In der Wüste werden Ismael und seine Mutter von Gott an eine Wasserstelle geführt um dort zu wohnen. Und Hagar, so heißt es später, nahm dem Ismael eine Frau aus Ägypten. Zwölf Stämme werden gezählt, die von Ismael ausgehen. Er wird so zum Stammvater der Araber.
Wie ein Wildesel
- Der Vergleich mit einem Wildsesel in der Prophezeiung über Ismael ist nichts Ungewöhnliches. Auch den Stammvätern der zwölf Stämme Israels werden später, beim Segen Jakobs, die Eigenschaften bestimmter Tiere zugeordnet: so wird Judah als junger Löwe bezeichnet, Isachar als knochenstarker Esel, Naphtali als Schlange am Wege und Benjamin als räuberischer Wolf. Genesis, 49
Von der gesamten Nachkommenschaft Jakobs heißt es: sie werden sein wie die Fische.
- Bei Ismael heißt es je nach Übersetzung, er werde ein Mensch wie Wildesel sein. Oder ein wilder Mensch. Im hebräischen Urtext lautet die Bezeichnung פרא אדם - pere adam.
Das Adjektiv pere bedeutet wild. Als Substantiv steht es zugleich für Wildesel. Buber und Rosenzweig übersetzen: Wildeselmensch.
- Der Esel zeichnet sich ohnehin durch eine Widerständigkeit aus, die ihn vom gefügigen Pferd unterscheidet. In der Geschichte von Bileams Eselin weigert sich diese weiterzugehen, weil sie den Engel Gottes mit dem Schwert auf dem Wege stehen sieht. Bileam hingegen nimmt ihn nicht wahr, obwohl er ein Seher ist. Als solcher hatte er sich aufgemacht, um im Auftrag im Quadrat es Königs von Moab das Verhängnis über Israel zu verkünden. Weil die Eselin sich dreimal weigert, schlägt Bileam sie. Gott löst darauf ihre Zunge und verleiht ihr die Fähigkeit zu sprechen. Warum schlägst Du mich?, fragt sie Bileam, habe ich Dir nicht ein Leben lang treu gedient? Sie weist Bileam auf den Engel hin. Nun sieht auch Bileam den Boten Gottes mit dem Schwert auf dem Wege stehen. Er lässt von seinem Vorhaben ab und anstatt Israel zu verfluchen, segnet er es. Die Eselin hat ihn gerettet, denn wäre er weitergegangen, wäre er gestorben. 4.Moses 22,23
Bileams Esel ist das einzige Tier in der Bibel, dem die Sprache gegeben wird. Dies im Zusammenhang mit seiner Weigerung, dem Vorhaben seines Besitzers zu dienen. Der Trotz des Esels steht hier für eine gottgefällige Wendung. Palmsonntag und die Bremer Stadtmusikanten >>
- Bei Ismael wird diese Widerständigkeit nochmals besonders hervorgehoben, in dem er mit einem wilden Esel, einem Wildesel verglichen wird.
Der Wildesel findet sich in etlichen biblischen Vergleichen und Erzählungen. Er steht für Ungebundenheit und Freiheitsdrang, fern kollektiver Zugehörigkeit, jeglicher Einbindung trotzend, bleibt er den Gemeinschaften gegenüber distanziert. In der Weite der Halbwüste ist er zuhause.
Ismael, der Wildesel, Sohn Abrahams und Halbbruder Isaaks, gilt als Stammvater der Araber.
- Als Heimat und Herkunft der Araber gilt die Arabische Halbinsel. Von der teils freundschaftlichen, teils konfliktbeladenen Koexistenz der Hebräer und der Araber vor der Entstehung des Islam zeugen biblische und geschichtliche Berichte.
Bekannt ist die Beziehung der Herrscherin des arabischen Reichs der Sabäer, der Königin von Saba, zu König Salomon. Von der Kunde über seine Weisheit beeindruckt war sie aus dem fernen Jemen mit Geschenken angereist, um ihn zu besuchen.
Das Reich Himyar, ebenfalls im heutigen Jemen gelegen, trat im Jahrhundert vor Christus zum Judentum über. Ebenso das Reich der Idumäer, im Südosten Israels gelegen, aus denen später der König Herodes hervorging.
Die Etymologie der Bezeichnung "Araber" basiert auf dem hebräischen Wortstamm erev , bestehend aus aijn - resch, beth - ערב. Das Wort kann sowohl Abend wie auch Westen als auch Mischung bedeuten. Der Sonnenuntergang im Westen und die Abenddämmerung sind hier als die Zeit des Tages charakterisiert, da sich die Farben und Konturen wieder vermischen, bevor sie vom Ungeteilten der Nacht aufgenommen werden.
- Der Zusammenhang wird im Buch Jeremias angesprochen, dort heißt es bei Jeremias 25,24: "alle Könige Arabiens und alle Könige der arabischen Nachbarn in der Wüste".
Die Einheitsübersetzung wählt: "alle Könige Arabiens und alle Könige des Völkergemisches, die in der Wüste wohnen". Das Wort, an dessen Stelle hier "Völker" eingesetzt wurde, lautet sch'chenim. Wörtlich bedeutet es jedoch Nachbarn oder Wohnende, das Wort erev wurde als "Gemisch" und die Wortkombination damit als Völkergemisch gedeutet, der Auffassung folgend, die Bezeichnung
erev verweise hier auf ein Gemisch verschiedener Völker in der Wüste. Naheliegender scheint jedoch, dass sowohl entfernte arabische Königreiche gemeint sind, als auch weniger organisierte, westlich benachbarte arabische Stämme in der Wüste. Demnach hieße es: "alle Könige Arabiens und der westlichen/arabischen Nachbarn in der Wüste", was sich auf die Beduinen der südwestlich gelegenen Wüste Sinai beziehen würde.
- In den Worten des Engels an Hagar, ihr Sohn Ismael und seine Nachkommenschaft würde "ein Mensch sein, wie ein Wildesel. Seine Hand gegen jedermann. Und jedermanns Hand gegen ihn. Wohnen wird er im Angesicht/gegenüber seinen Brüdern." ist eine Widerständigkeit gegen die Zusammenschlüsse und Regelungen jeder Art von Vergemeinschaftung ausgedrückt, ein Freiheitsdrang, der sich allen Kollektiven zu entziehen sucht.
- Im Sinne dieses Freiheitsdrangs und der Absage an jegliche kollektivistische Gesellschaftsform in der Aussage des Engels, scheint das Aufkommen des Islam im siebten Jahrhundert dem so prophezeiten Wesen der Araber eigentlich entgegenzustehen.
Der Islam stellt als politisches und soziales System eine Rückkehr zu einem fundamentalen Kollektivismus dar, indem der Einzelne über die Zugehörigkeit zur Umma, zur Gemeinschaft der Gläubigen definiert wird.
- Der islamische Philosoph und Aristoteles-Kommentator Ibn Ruschd, geboren 1126 in Cordoba, gestorben 1198 in Marrakesch, im Westen bekannt als Averroes, artikulierte dies, indem er dem einzelnen Menschen einen eigenen Geist absprach. Der Einzelne, so Averroes, habe nur Anteil an einem gemeinschaftlichen Geist, den er mit dem Mond verband. Die geistige Erkenntnis sei daher letztlich nicht eine Errungenschaft des Individuums.
- Anders die Erzählung im Evangelium, wo der Heilige Geist an Pfingsten auf jeden Einzelnen der Versammelten in Gestalt einer Feuerzunge herabkommt. Apostelgeschichte 2, 1-12
- Obwohl dem Werk des Averroes innerhalb des Islams keine besondere Anerkennung zuteil wurde, da seinerzeit die islamische Philosophie generell zunehmend in Verdacht geriet, die Offenbarung des Korans zu relativieren, stellen die Aussagen eine präzise Artikulation der islamischen Geisteshaltung und ihrer Konsequenzen dar.
- Im Unterschied den muslimischen Gesellschaften fanden die Aristoteles-Kommentare des Averroes im christlichen Europa hingegen große Beachtung. In der späteren Auseinandersetzung mit dem Averroismus formulierte Thomas von Aquin den eigenen Geist und die Erkenntnisfähigkeit des Individuums. Seine Widerlegung des Averroes begründete erneut die christliche Auffassung von der Freiheit des Individuums.
- Der Anlass, zu dem sich die Apostel versammelt hatten, war das Fest Schawuoth, das später bei den Christen zum Pfingstfest wurde und das am fünfzigsten Tage - Pfingsten bedeutet Fünfzig - nach Pessach, dem Fest des Auszugs aus Ägypten gefeiert wird. An Schawuoth feiert man die Begegnung des Volkes mit Gott am Sinai, bei der die mosaischen Weisungen verkündet wurden. Es gilt im Judentum als Fest der Individuation, weil hier erstmals jeder Einzelne von Gott angesprochen war und ein jeder antwortete.
Bei der Herabkunft des Heiligen Geistes auf jeden Einzelnen der Versammelten beim Pfingstfest der Apostel, so das christliche Verständnis, ist der Heilige Geist, der Geist der Ansprache Gottes, in den Menschen eingezogen. Identität und Pfingsten >>
Bei der Verkündung am Sinai, heißt es, antwortete das Volk mit einer Stimme. An Pfingsten, bei der Herabkunft des Heiligen Geistes auf die Apostel vermochten diese danach in allen Sprachen zu reden. Siebzehn Völker werden erwähnt, deren Angehörige sich wunderten, weil sie die Apostel in jeweils ihrer Sprache vernahmen. Darunter werden auch die Araber erwähnt.
- Rund sechshundert Jahre nach diesem Ereignis steht das Aufkommen des Islam für eine Absage an das Pfingstfest als Akt der Individuation und für eine kollektivistische Vereinnahmung des Einzelnen, zuletzt artikuliert durch die Lehre des Averroes, der dem Individuum keinen inkarnierten eigenen Geist, sondern nur einen zeitweisen Anteil an einen mondhaft spiegelnden Gemeinschaftsgeist zubilligt.
Ibn Ruschd /Averroes, geboren am 14. April 1126 in Cordoba, Tageshoroskop
- Das astrologische Bild des Geburtstages des Ibn Ruschd zeigt als Mittagshoroskop einen Sonnenstand von 0, 3 Grad Stier. Das Zeichen Stier steht für die Gemeinschaftsbildung. Die Konjunktion von Sonne, Pluto und Merkur im Stier zeigt an, dass die Gemeinschaft und ihre Verrichtung zum religösen Zwang geworden ist. Der Verbundsherrscher Widder steht im neunten Haus, dem Haus der Anschauung. Sein Vertreter Mars geht ins Zeichen Krebs, das Zeichen der seelischen Eigenentwicklung, das im zwölften Haus steht, dem Haus des Ungeschehenen. Im Quadrat zu Sonne, Mars und Merkur verdeutlicht dies die Thematik der Verdrängung der Erkenntnisfähigkeit des Einzelnen und des seelischen Lebens unter dem Regelungszwang und in der Scheingeborgenheit der Gemeinschaft; der Begriff der Umma, der Gemeinschaft der Gläubigen, ist etymologisch mit dem Wort für Mutter - Umu - verbunden.
- Die Aussagen des Ibn Ruschd beschreiben demnach eine Gemeinschaftsbildung, in der der kollektive Zwang und die Verneinung einer eigenen Erkenntnisgewinnung zur Anschauung wurde.
Er selber befand sich in der Rolle des Mars im zwölften Haus: mit seiner Rezeption des Aristoteles und der Hervorhebung der philosophischen Erkenntnis, als weitere Offenbarungsquelle parallel zum Koran, stand er im Widerspruch zur bestehenden Tendenz der generellen Ablehnung einer islamischen Philosophie und der autonomen Erkenntnisfähigkeit. Averroes wurde später verbannt und seine Werke verboten.
Dennoch, gerade aufgrund der logischen Durchdringung, stellen seine Aussagen eine präzise Artikulation der islamischen Geisteshaltung und ihrer Konsequenzen dar.
- Für die Araber, als Söhne Ismaels, von dem es heißt, "er wird ein Mensch sein, wie ein Wildesel. Seine Hand gegen jedermann und jedermanns Hand gegen ihn", erscheint damit das Aufkommen des Islams in ihrer Geschichte als die Entwicklung einer quasi aufgezwungenen Bürgerlichkeit, die dem ursprüng-lichen, widerständigen und freiheitsliebenden Charakter widerspricht.
Gemessen an den Worten, die der Bote Gottes an Hagar richtet, erscheint dies als eher vorübergehende Phase in der Geschichte der Araber.
- Die Aussage"Wohnen wird er gegenüber seinen Brüdern" enthält den Hinweis auf eine grundsätzliche dialogische Herausforderung, die von den Söhnen Ismaels ausgeht. Und die dann gefragt ist, wenn das Gemeinschaftliche nicht mehr der Bestimmung des Einzelnen entspricht.
(...)
(Anmerkung:
Das Horoskop des Averroes in diesem Text zeigte zuvor aufgrund einer Verwechslung des argentinischen Cordoba mit dem andalusischen Cordoba des Gebortsorts von Ibn Ruschd einen Krebs-AC. Tatsächlich ist in Andalusien der AC Löwe und der Mars im zwölften Haus. Danke für den Hinweis.)
(C) Herbert Antonius Weiler, September 2025
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