Der Essay ist enthalten in dem Buch

 

Die Wohnmaschine 

Essays und Betrachtungen

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„Besonders muß man sich aber hüten, in irgendeinem Zeitalter darauf 

Rücksicht zu nehmen, was in dem Zeitalter gerade als Autorität auftritt. 

(...)

Das ist insbesondere auf einem Gebiete der Menschheitskultur der Fall, auf 

dem Gebiete der materialistischen Medizin, wo wir sehen, wie eben das 

maßgebend ist, was die Autorität in der Hand hat und immer mehr und mehr 

darauf Anspruch macht, wo das auf etwas hinauslaufen will, was viel, viel 

furchtbarer, schrecklicher ist als jemals irgendeine Autoritätsherrschaft 

des so viel angeklagten Mittelalters.

Wir stehen schon heute darinnen, und das wird noch immer stärker und 

stärker werden. Wenn die Leute so furchtbar spotten über die Gespenster des 

mittelalterlichen Aberglaubens, dann möchte man wohl sagen: Ja, hat sich 

denn in Bezug darauf etwas besonders geändert? Ist denn diese 

Gespensterfurcht etwa abgekommen? Fürchten die Leute nicht heute viel mehr 

Gespenster als dazumal? - Es ist viel schrecklicher, als man allgemein 

meint, was da vorgeht in der menschlichen Seele, wenn ihr vorgerechnet 

wird: Da auf der Handfläche sind 60000 Bazillenherde. (...)

 

Müßte man sich also nicht doch entschließen zu sagen: Diese 

mittelalterlichen Gespenster waren wenigstens anständige Gespenster, aber 

die heutigen Bazillengespenster sind zu knirpshaft, zu unanständige 

Gespenster, als daß sie die Furcht begründen sollten, die zudem erst im 

Anfange ist, und die da macht, daß die Menschen gerade hier, auf 

gesundheitlichem Gebiet, in einen Autoritätsglauben geraten werden, der 

furchtbar ist.“   

 

 

 

Rudolf Steiner, Vortrag in Mannheim im Januar 1911    GA 127, s 22 >>  

 

 


Notizen zur Ansteckungsangst

 

Zur gesetzlichen Legitimierung der Maßnahmen, die von der deutschen Regierung in der Corona-Krise getroffen worden waren, hat man am 18.11.2020 das neue Infektionsschutzgesetz beschlossen. Mit dieser, von einzelnen Parlamentsmitgliedern als "Persilschein" bezeichneten gesetzlichen Grundlage wird dem Gesundheitsministerium künftig die Möglichkeit gegeben, Notlagen zu definieren und auf dieser Basis fundamental in die Grundrechte und Freiheit des Einzelnen einzugreifen.

 

Rudolf Steiner prognostizierte im Jahre 1911 den übergreifenden Sachzwang, der sich einst aus dem industriell-medizinischen Betrieb ableiten würde. Er verglich die moderne Angst vor Bakterien mit der Angst vor Gespenstern im Mittelalter. siehe oben

 

  

Beide Ängste, die vor Gespenstern und die vor Bakterien oder Viren, haben eines gemeinsam: Sie lassen sich eher nicht aus der alltäglichen Erfahrung und Lebenswirklichkeit des Menschen ableiten. 

Wobei im Falle der Gespenster durchaus persönliche Erfahrungsberichte aus nicht-alltäglichen Situationen kursieren.

Anders verhält es sich bei Bakterien und Viren. Eine sinnliche Erfahrung von Viren ist nicht möglich, nur über das Elektronenmikroskop sind sie sichtbar zu machen. Jedoch führt es zu einem fatalen erkenntnistheoretischen Dilemma, wenn mit den elektronenmikroskopisch bzw. instrumentell hergestellten Bildern von Viren, etwa der gespickten Kugel des Corona-Virus, eine Pseudo-Sinneserfahrung erzeugt wird. Es entsteht die Suggestion einer, der sinnlichen Vergewisserung adäquaten Realität und Erfahrbarkeit, die der Wirklichkeit des Inhalts nicht entspricht. So kann sich eine eigentliche Erkenntnis dessen, was sich in den Viren äußert, nicht auftun.

 

Zudem haben nur einige Wenige Zugang zu den instrumentellen Mitteln, mit denen sich Viren nachweisen oder sichtbar machen lassen. Für den größten Teil der Menschheit bedeutet die Erzählung von den Viren und der Ansteckungsgefahr, die von ihnen ausgehe, eine Bedrohung, die mit ihrer Lebenswirklichkeit nur mittelbar, durch Verlautbarungen von Experten, zu tun hat.

 

Die Corona-Krise hat der Gesellschaft zuletzt eine Parallelwelt beschert, in der Virus und Infektionsgefahr den Hauptbestandteil der Nachrichten ausmachen, ohne dass sich dies in der Erfahrungswelt des Einzelnen, der zugemessenen Relevanz entsprechend wiederfindet.

Erfahrbar sind hauptsächlich die von der Regierung getroffenen einschränkenden Maßnahmen. Sowie die Angst der Menschen angesichts der täglich referierten, erschreckenden Infektions-, Erkrankungs- und Todeszahlen, die mit seltsamer Beharrlichkeit ohne sinnvolle Relation zu den Testmengen und ohne vergleichenden Zusammenhang zu den sonstigen Krankheits- und Sterblichkeitsraten vorgetragen werden.

 

So gilt im Zuge der Corona-Krise erstmals ein positiver - dabei ausgewiesenermaßen fragwürdiger Virustest - und nicht mehr die Erkrankung als der maßgebliche Indikator einer Pandemie. 


Hannah Arendt weist auf den Anspruch der modernen Naturwissenschaft hin, die persönliche Erfahrung und Vergewisserung des Menschen zu entrechten und eine Wirklichkeit zu vermitteln, die nur über Instrumente zugänglich ist, und die schließlich über das Objekt der Erkenntnis nicht mehr aussage,  als eine Telephonnummer von dem aussagt, der sich meldet, wenn wir sie wählen>>        

 

Diese Möglichkeit, eine letztlich fiktionale Realität zu suggerieren und diese für das Leben der Menschen in Form von Regelungen verbindlich zu machen, bildet in Hannah Arendts Sicht ein Wesensmerkmal totalitärer Strukturen:

 

"Die Kunst des totalitären Führers besteht darin, in der erfahrbaren Realität geeignete Elemente für seine Fiktion herauszufinden und sie so zu verwenden, dass sie fortan von aller überprüfbaren Erfahrung getrennt bleiben"

aus "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft"

 

Der Satz ist das Pendant zu Rudolf Steiners Vergleich der Angst vor Gespenstern mit der Ansteckungsangst und seinem Hinweis auf die sich daraus ergebende Autoritätshörigkeit gegenüber medizinischer Industrie und Gesundheitsbehörden..

Arendt beschreibt im Grunde den Wissenschaftsstaat schlechthin, die Diktatur der Experten, deren Verlautbarungen und Glaubenssätze vom Einzelnen weder erfahrbar noch überprüfbar sind.

 

 

           ***

 

 

 

 

- In einem Beitrag in der NZZ zieht ein Historiker den Vergleich mit den Auswirkungen der Großen Pest, die 1348 Italien erreichte: Angesichts der Bedrohung durch die Seuche und des Unvermögens, das Leid zu lindern oder gar abzuwenden, habe sich die Obrigkeit damals unter einem extremen Rechtfertigungsdruck befunden. Diesem sei sie mit immer neuen, teils widersprüchlichen bis törichten Regelungen und Restriktionen entgegengetreten, die häufig die Lage der Bevölkerung noch erheblich verschlimmert hätten. In dem Aufsatz werden Parallelen zu den regierungsamtlichen Maßnahmen und Gesetzesänderungen in der Corona-Krise gezogen. Corona-Krise und Pest - Der Staat will keine Schwäche zeigen >>

 

- Allein trifft der Vergleich mit der Pest nur bedingt zu, da die Pest von jedermann erfahrbar war, jeder kannte einen oder mehrere Erkrankte oder Verstorbene oder war selbst erkrankt. Ein Drittel der europäischen Bevölkerung starb an der Pest.

Die Corona-Seuche findet hingegen fast ausschließlich in einer medialen Parallelwelt statt, die, obwohl sie in der Lage ist, Angst zu erzeugen, mit der erlebten Wirklichkeit der Menschen wenig zu tun hat: Bei Nachfragen im persönlichen Umfeld sind Fälle ernsthaft Erkrankter oder gar an Covid-19 Verstorbener relativ selten. Auch die Statistiken geben eine auffällige Übersterblichkeit im Vergleich zu den Vorjahren nicht wieder.

"Zahl der Sterbefälle in Deutschland laut Statistischem Bundesamt weiterhin im Rahmen der üblichen Schwankung." >>

"Zahl der Intensiv- und Beatmungsfälle geringer als 2019 " >>       

 

Insofern verhält es sich hier anders als vom Autor dargestellt: Zwar muss die Regierung sich rechtfertigen, weil von ihr erwartet wird, die Auswirkungen einer Seuche zu lindern, jedoch wird in der Corona-Krise eine mehr oder weniger fiktionale Bedrohung im Wechselspiel von Medien und Regierung eher forciert. Ob dies aus Furcht vor einer späteren Rechtfertigungskrise geschieht, mag dahingestellt bleiben. Fakt ist, dass ohne Medien die Existenz einer Pandemie unbekannt wäre.

 

- Kennzeichnend ist hierbei der Begriff des Corona- oder Pandemieleugners, der als Vorwurf gegenüber Kritikern der medialen Berichterstattung und dem Verhalten der Regierung aufgebracht wurde.
In der Regel kann nur geleugnet werden, was nicht offensichtlich und nicht unmittelbar erfahrbar ist. 
Mit dem Vorwurf der Coronaleugnung wird nun attestiert, die Existenz einer Pandemie, einer Seuche würde geleugnet.
Im Vergleich mit der Pest, die von 1348 an Europa heimsuchte, wäre jedoch niemandem eingefallen, die Existenz einer Seuche zu verneinen, an der jeder Dritte verstarb oder sie als harmlos zu erklären. So ist denn auch der Begriff eines Pestleugners nicht überliefert.  
 
- Der moderne Vorwurf der Coronaleugnung stellt sich so als Eingeständnis der fehlenden Offensichtlichkeit dar, als Postulierung einer Pandemie, von deren Existenz der Einzelne erst überzeugt werden muss.
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(C) Herbert Antonius Weiler, 2021