Textauszug
Der Essay findet sich in dem neu erschienenen Buch
Das Schehen
Was wird gefangen im Anfang?
Etliche im Deutschen geläufige Begriffe erschließen sich bei näherer Betrachtung als Präfix-Bildungen, deren zugrundeliegendes Verb in eine andere Richtung weist oder nicht mehr existiert. Das Verb fangen in dem Substantiv Anfang ist ein Beispiel, ein anderes das Fahren in Gefahr, das Greifen in Begriff .
Die heutige Bedeutung des Verbs ist in der Anwendung des Begriffs kaum mehr unmittelbar nachzuvollziehen, ihre Veranschaulichung kann aber ein tieferes Verständnis eröffnen.
So ist im Falle des Wortes Anfang der Fang enthalten und es fragt sich, was im Anfang zu fangen ist oder gefangen wird.
Der Anfang geht aus dem Nichts des Ungeteilten, dem Allbeisammensein der Dinge Aristoteles hervor, das in der Teilung zu einem Später oder Früher seiner jeweiligen Gegenwart wird, zum Innen oder Außen, zum Hier oder Dort seiner Zeit und seines Ortes. Etwas ist gefangen, indem es nicht mehr alles zugleich und überall sein kann. Dadurch erst wird es Gegenwart, kommt zur Anwesenheit und hat einen Anfang.
So heißt es in der Genesis Im Anfang, weil mit dem Anfang auch Zeit und Raum beginnt und ein räumliches oder zeitliches am, gleichsam beim Anfang nicht möglich ist und nicht Anfang wäre.
Der Fischfang spielt in den Evangelien eine bedeutsame Rolle, das Fische-Symbol stand schon zuvor für die Kinder Israels und für den Messias; bekannt ist es als Symbol der ersten Christen. Die Apostel waren von Beruf Fischer. Die Erzählung vom nächtlichen Fischzug im Text des Johannes mit der eigens erwähnten Zahl der 153 Fische bildet hier eine Schlüsselstellung >>.
Es ist auffällig, wie im Neuen Testament der Fischfang ein durchgehendes Thema bildet. Es zeugt davon, dass der Anfang - das Prinzip des Anfangs - selber Mensch geworden ist und damit jedem Menschen ein eigener Anfang gegeben ist. Guardini
So kommt das Verb fangen ursprünglich von fahen. Es hängt mit Fähigkeit zusammen und hat die Bedeutung von greifen, fassen, erfassen.
Häufig sind es Formen der vollendeten Gegenwart und Vergangenheit, die zu Substantiven werden, deren zugrundeliegendes Verb man nicht mehr kennt. Gebärde, Genuss, Gelingen oder Geschehen sind Beispiele.
Was ist das Schehen, das den Begriff des Geschehens bildet?
Etymologisch geht es auf ein altes Wort für schnelle Bewegung, schnelles Gehen, althochdeutsch skehan, zurück.
Ähnlich dem Begriff Vorgang, bei dessen Erwähnung kaum bedacht wird, dass es ein Gehen ist. Verwandt ist schicken und Geschick sowie Geschichte für das umfassendere Geschehen.
In alten Texten ist es noch häufig zu finden. Im Mittelhochdeutschen hatte schehen die Bedeutung von sich plötzlich wenden, schnell einher- oder umherfahren, eilen, rennen. Grimm, diu wolken beginnent ûf brehen, sûsen unde schehen; si loufent hin unde her ...
Das Geschehen als Form der vollendeten Vergangenheit ist mithin ein abgeschlossenes Schehen, das nach seiner Vollendung als solches erkennbar wird, also Gestalt ist.
Das Sch ist der Laut des Windes. Es verdeutlicht die horizontale Bewegung, die der Waage. Es ist die Bewegung vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang im Westen. Das Schehen ist das Wehen des Vorübergangs, im Geschehen ist die Schau von Anfang und Ende des Schehens.
Im Geschehen hat das Schehen Beginn und Vollendung. Und wird damit als Gestalt der Zeit erkannt.
Ähnlich das Wort Ereignis. Es kommt von Auge und bedeutet im ursprünglichen Sinne - von eräugen, erblicken - dass sich etwas zeigt, das Eräugnis. Die Etymologie des Wortes gilt, obwohl assoziiert, genetisch als nicht verwandt mit der des Wortes Eigentum.
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(C) Herbert Weiler, 24. 12. 2017
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