Der Bussard

 

Gestern klopfte Frau Lunke, die unter mir wohnt, an meine Tür. Sie ist um die Achtzig, alleinstehend, und hin und wieder bringe ich Einkäufe für sie mit. 

- Das Biest ist wieder da, rief sie,  - der sitzt da stundenlang und geht nicht weg. Klatschen und Rufen macht dem gar nichts aus. Die ganzen anderen Vögel bleiben weg. -

Zunächst wusste ich nicht, wovon sie sprach. Dann aber zeigte sie zum Fenster hinaus, auf den großen Baum, der auf der Wiese hinter dem Hause steht. Dort saß der Bussard, der sich seit einigen Tagen im Geäst des Baumes niederlässt.

- Wie der da sitzt. Ungerührt, stundenlang , ereiferte sich Frau Lunke,  - können Sie den nicht verjagen? Auf mich hört der nicht. -

 - Warum wollen Sie ihn denn verjagen? -, fragte ich.

 - Sie sehen das ja nicht, wenn der wieder mal blutige Federn und Knochenreste da unten auf der Wiese hinterlässt, wenn er wieder einen Vogel getötet hat. - 

-Vielleicht reißt der nur Tauben? Davon gibt es eh zu viele. -

- Nee, der reißt doch nicht nur Tauben. Es trauen sich überhaupt keine Singvögel mehr her. Der soll abhauen. Der kann zum Zoo fliegen und sich dort niederlassen. Gibt es nichts, womit man den verjagen kann?. -

Mir kam meine  Gummischleuder in den Sinn, die Zwille, die ich vor einiger Zeit in einer Art Wettstreit mit Rudi, einem befreundeten Metallbildhauer, gebaut hatte. Laut Waffengesetz war es ein verbotenes Gerät weil sich ein Metallbügel, vom Handgriff ausgehend, über den Ellenbogen legte und die Hand zusätzlich stützte. Mit solchen Armstützen kann die Zwille mit wesentlich stärkerem Zug betrieben werden.  Die Skrupel, sie zu benutzen, um den armen Bussard zu vertreiben, traten gegenüber der Lust, sie einzusetzen, in den Hintergrund. Ich holte sie hervor.

-Wenn der dann aber tot vom Ast fällt und da unten rumliegt.- machte sich Frau Lunke nun Gedanken. Ich versicherte, dass man mit der Zwille einen Falken nicht so leicht töten könne. Dann legte ich mir als Munition eine Sammlung von Schraubenmuttern zurecht und begann auf den Falken zu schießen. Jedoch hatte ich mich auf dem Gerät  noch nicht eingeübt. Etwa ein dutzendmal ging die Geschosse rechts und links des großen Vogels ins Geäst. Der merkte gar nichts davon. 

-Der bleibt völlig unbeeindruckt -  empörte sich Frau Lunke  - was für ein dreistes Viech -.

Einmal traf ich just den Ast, auf dem er saß. Das irritierte ihn ein wenig.

- Jetzt hat er was mitbekommen, nochmal, dann fliegt er weg. - 

Aber der große Vogel zeigte sich ungerührt vom weiteren Geraschel in den Zweigen. Frau Lunke gewann den Eindruck, dass ich nichts würde ausrichten können und ging wieder, nochmals den Wunsch kundtuend, der Bussard möge sich zum Zoo begeben.

 

Ich veränderte meine Handhaltung mit der Schleuder, und traf jetzt dichter um den Vogel als zuvor. Der reckte den Hals und schaute sich um und schaute unter sich, was das wohl sei, was da in den Zweigen sirrt und schnipst. Aber wegzufliegen kam ihm nicht in den Sinn. Da ich ohnehin, nachdem Frau Lunke gegangen war, nur deshalb weiter geschossen hatte, weil ich, einmal damit begonnen, nun einen Erfolg haben wollte, gab ich es auf.

Denn wie der Vogel so dasitzt, da sehe ich endlich ein, was ich von vorneherein wusste, nämlich, dass er mein Freund ist. Der gute Geselle.

Später kreuzten einige von jenen kreischenden, wildlebenden Papageien auf, die sich in Köln seit einigen Jahren vermehrt haben und ihr lärmendes Unwesen treiben. Und die haben ihn, wie es scheint, verjagt. Jedenfalls bewirkten sie, dass er weg flog. Vermutlich ging ihm das Gekreische auf die Nerven.

Vielleicht kommt er später wieder.

 

 

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12.Februar 2011

(C) Herbert Antonius Weiler