Textauszug

Der Essay ist enthalten in dem Buch Die Vögel und die Farben >>


Papst Franziskus und das Vaterunser

 

 

- Der Papst hat die deutsche Übersetzung des Vaterunsers kritisiert.

 

- Bei einer Fernsehsendung am Mittwochabend pflegt Papst Franziskus das Gespräch vor der Kamera. Der kirchliche Sender TV 2000 strahlt seit dem Herbst des Jahres 2017 ein wöchentliches Interview mit dem Pontifex aus. Am Mittwoch des 6. Dezembers 2017 hatte Franziskus eine kritische Bemerkung zur deutschen Übersetzung des Vaterunsers gemacht, die bei den deutschen Bischöfen auf Widerspruch stieß. Die vorletzte Bitte, wo es heißt: und "führe uns nicht in Versuchung", sei, so der Papst, "keine gute Übersetzung". Denn es sei nicht Gott, der den Menschen in Versuchung führe, um zu schauen, wie er falle. "Lass mich nicht in Versuchung geraten" wäre angemessener, so Franziskus. "Ich bin es, der fällt, aber es ist nicht er, der mich in Versuchung geraten lässt". Ein Vater mache so etwas nicht. "Ein Vater hilft, sofort wieder aufzustehen. Wer dich in Versuchung führt, ist Satan".

 

- Meint er, diese Übersetzung sei zu berichtigen, damit kein irriges Gottesbild vermittelt würde?

 

- Anlass der Bemerkung war die Änderung der sechsten Vater-unser-Bitte in Frankreich. Dort gilt seit dem ersten Adventssonntag des Jahres 2017 für Katholiken eine neue Übersetzung. Es ist freilich die dritte Änderung die das französische Vaterunser in den vergangenen 50 Jahren erfahren hat. Bis 1966 lautete die Bitte: "Lass uns nicht der Versuchung unterliegen" - Ne nous laisse pas succomber a la tentation

Von 1966 bis 2017 hatte es geheißen:  "Unterwirf uns keiner Versuchung" - Ne nous soumets pas a la tentation.

Seit dem ersten Advent des letzten Jahres heißt es nun:  "Lass uns nicht in Versuchung geraten/ in eine Versuchung eintreten" - Ne nous laisse pas entrer en tentation.

 

- Der Papst hält die neue Version der Bitte für die angemessenere Übersetzung und empfahl sie als Vorbild für eine Korrektur des deutschen Vaterunsers.

 

- Dem widersprachen die deutschen Bischöfe. Sie verwiesen auf den Wortlaut des griechischen Textes bei Lukas und Matthäus, dem die deutsche Version mit der Formulierung "und führe uns nicht in Versuchung"  wörtlich entspreche.

 

- Zudem machten Theologen geltend, in der Bitte gehe es nicht um eine Gott unterstellte Absicht, den Menschen zu Fall zu bringen, "um zu sehen, wie er falle", wie der Papst sich ausdrückte.  Vielmehr sei hier ein in der Bibel oft berührter Gedanke angesprochen, dass der Mensch der Versuchung ausgesetzt sei, damit er an ihr wachse und in eine eigene Bewegung eintrete. 

 

- Ein bekanntes Beispiel ist die Geschichte des Hiob.

 

- Im Neuen Testament findet sich das Gleichnis vom einen reuigen Sünder, über den man sich im Himmel mehr freut, als über 99 Gerechte. Matt. 18, 13 / Luk. 15, 7

Jesus selbst wird "vom Geiste in die Wüste hinaufgeführt, um von dem Teufel versucht zu werden" Matt. 4,1. Danach beginnt er sein öffentliches Wirken.

Aus den Apokryphen ist das Jesuswort überliefert "Niemand kann das Himmelreich erlangen, der nicht durch die Versuchung ging". Joachim Jeremias, Die Gleichnisse Jesu.

Auch sagt Jesus zu den Jüngern:  "ihr habt in meinen Versuchungen bei mir ausgeharrt"  Luk. 22,28

 

- In den Schilderungen ist es nicht Gott, der versucht, sondern, wie bereits bei Hiob, der "Satan", der "Gegner" oder "Ankläger", dessen Name in der Übersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig mit "Hinderer" übertragen wird. Der Hinderer muss, um walten zu können, allerdings die Erlaubnis Gottes einholen.

Dementsprechend heißt es im Brief des Jakobus, womöglich mit Blick auf die Problematik der griechischen Übertragung und der damit verbundenen Auslegung: "Keiner, der in Versuchung gerät, soll sagen: 'Ich werde von Gott in Versuchung geführt.' Denn Gott kann nicht in die Versuchung kommen, Böses zu tun, und er führt auch selbst niemand in Versuchung". Jakobus 1,13.

 

- Sofern mit Versuchung die Situation der Versuchung schlechthin gemeint ist, würde die Bitte, gar nicht erst in Versuchung zu geraten, einer Verweigerung des Lebens gleichḱommen. Das kann nicht der Sinn des Gebets sein. 

 

- Aufschluss über den tatsächlichen Wortlaut und Sinn des Vaterunsers, wie Jesus sie die Jünger lehrte, bietet die Heranziehung des Hebräischen als von Jesus und den Jüngern gesprochene Sprache und auch als Grundlage der Evangelien. Die häufig und allzugerne geäusserte Vorstellung vom Aramäischen als "Muttersprache Jesu" erweist sich angesichts der tatsächlichen sprachlichen Verhältnisse im Lande und zur Zeit Jesu als irrig.

Es kann heute als erwiesen gelten, dass das Hebräische  neben dem Aramäischen und dem Griechischen zu den lebendigen gesprochenen Sprachen Palästinas gehörte. 

Das Hebräische bildete nicht nur die Sprache der Liturgie, sondern auch die des religiösen Dialogs, wie ihn Jesus und die Jünger führten, worauf Martin Buber hinweist. Vor allem in den religiösen Zentren, wie Jerusalem oder Hebron, gehörte es auch zur Alltagssprache. 

Es ist davon auszugehen, dass Jesus das Vaterunser auf Hebräisch gesprochen und gelehrt hat.      

 hebräische Version des Vaterunsers >> 

 

- Hinsichtlich des ursprünglichen Wortlauts der sechsten Bitte des Vaterunsers ergibt sich daraus die Möglichkeit, ähnliche oder gar gleichlautende Bitten aus der hebräischen Gebetstradition des Judentums einzubeziehen, um den Satz zu rekonstruieren.  Eines der ältesten Gebete im Siddur, dem jüdischen Gebetbuch, bildet das Morgen- und Abendgebet. In diesen findet sich auch die Bitte um Bewahrung: 

"und lass mich nicht geraten in die Gewalt der Schuld  / und nicht in die Gewalt der Versuchung /  und nicht in die Gewalt von Schändlichem."  Schacharit, Segenssprüche am Morgen

 

Die betreffende Wendung lautet wörtlich übersetzt: "... nicht  in die Hand der Versuchung " - w‘al lejedej nissajon , sinngemäß: "... nicht in die Gewalt der Versuchung." Anhand dieses und anderer Gebete aus der jüdisch-hebräischen Tradition lässt sich unter Betracht eines hebräischen Urtextes des Vaterunsers ins Deutsche übertragen: "und lass uns nicht anheimfallen der Versuchung," Joachim Jeremias**, oder etwa: 

"und lass uns nicht geraten in die Fänge der Versuchung"  Peter Jentzmik***

 

- Deutlich wird, dass die Wendung lejedej - "in die Hand" entscheidend ist. Denn damit bezieht sich die Bitte nicht auf die Bewahrung vor der Versuchung als solche, sondern darauf, "nicht in die Gewalt der Versuchung" zu geraten, ihr nicht "anheimzufallen".  

 

- Es ist die Bitte, davor bewahrt zu werden, der Versuchung zu erliegen. Wobei das hebräische Wort nissajon - Versuchung  im Unterschied zur eher negativen Konnotation des deutschen Begriffs auch die Bedeutung von Probe oder Erfahrung enthält. Das verdeutlicht, dass wer die Versuchung ausschließen will, auch die Erfahrung und das Schicksal ausschließt.

 

- Die Akzentsetzung des Papstes und der damit verbundene Ausschluss des Schicksals geht einher mit der Propagierung der Aufhebung sozialer Unterschiede, zu der Wolfgang Döbereiner in seinem Essay über Franziskus bemerkt: Es wird die katholische Haltung, die nicht sozial, sondern durch Nächstenliebe geprägt ist, zugunsten einer Kollektivhaltung aufgehoben. Es geht bei der katholischen Haltung nicht um das Gleichmachen, sondern um das Bewahren der Unterschiede zugunsten der Individualität und Eigenständigkeit und um das Begreifen des Schicksals, das durch Nächstenliebe gemildert werden kann, aber sich niemals ohne eigenes Begreifen auflösen lässt.  

Wolfgang Döbereiner: Ist die Haltung des Papstes katholisch? >>

 

- Seit Jahrzehnten war kein Papst bei den Medien so beliebt wie dieser. Zugleich sind seit Beginn seiner Amtszeit die Kirchenaustritte angestiegen wie kaum je zuvor. Als fänden die Menschen das Geheimnis nicht mehr in der Kirche.

 

- Beim Dialog im Himmel, mit dem die Geschichte Hiobs beginnt, wendet sich Gott in der Versammlung der Gottessöhne an Satan -  שטן , den Ankläger, und fragt ihn, wo er herkomme. "Hin und her" habe er die Erde durchstreift, antwortet dieser. Ob ihm sein Diener Hiob und dessen untadeliger Wandel aufgefallen sei, fragt Gott. Hiob habe leicht untadelig sein, wendet Satan ein, schließlich habe Gott ihn reich gesegnet in seinem Wohlstand. Ohne seinen Besitz würde er sich abwenden. Darauf gibt Gott dem Satan die Erlaubnis, Hiobs Besitztümer zu nehmen. Doch Hiob bleibt treu und der Einwand Satans richtet sich nun auf Hiobs Familie und zuletzt, als ihm alles andere genommen ist, auf Hiobs Gesundheit.

Am Ende sitzt Hiob von Aussatz befallen auf einem Aschehaufen und klagt laut zu Gott, warum ihm das alles widerfahren sei.

Hiobs Freunde finden sich ein. Sie mahnen ihn zur Mäßigung. Irgendetwas müsse er falsch gemacht haben, gegen eine Regel verstoßen, sonst sei er wohl nicht in diese Lage gekommen. Man möge ihm vorweisen, was er sich habe zuschulden kommen lassen, ruft Hiob, kein Grund sei erkennbar für sein Elend. Hiob schreit sein Warum zu Gott.

Dieser antwortet ihm schließlich aus dem Wetter. Es kommt zu einer Form des Zwiegesprächs zwischen Gott und Hiob, dem einzelnen Menschen in seinem Schicksal, wie es vordem noch nicht stattgefunden hatte.  Eine neue eigenständige Beziehung des Einzelnen zu Gott. In der Folge erhält Hiob alles zurück was er verloren hatte. Er wird zum König seines Lebens. Seine Freunde jedoch, die sein vorheriges Missgeschick als Folge von Fehlverhalten und mangelndem Regelgehorsam ausgelegt hatten, Karma-Manager, fallen wegen dieses Kalküls in Ungnade bei Gott. Ihre Versöhnung macht Gott ausdrücklich von Hiobs Fürbitte abhängig.

 

- Die Fernsehsendung, in der Papst Franziskus eine Änderung des Vaterunsers empfiehlt, nach der die sechste Bitte lauten möge Lass uns nicht in Versuchung geraten begann um 21 Uhr, am 6.12.2017.

 

- Das Horoskop der Veranstaltung hat, im Sinne des Themas der Eigenbewegung des Einzelnen, einen Aufgang im Zeichen Löwe und die Sonne im Zeichen Schütze im fünften Haus. Dem Herrscher Jupiter geht es in Haus Vier dabei um das Bewahrende. Die seelische Bewegung neigt dazu, in sich selbst zu verbleiben, was durch den Pluto in Haus Sechs bestätigt wird, der das Subjekt gegen das Veränderliche der Zeit abschotten soll.

Das Kalkül gegenüber dem Schicksal, um im Ausschluss der Zeit, Venus-Uranus, und damit des Lebens ungeöffnet zu verbleiben, entspricht der Saturn-Merkur-Konjunktion in Haus Fünf, mit der das Subjekt gleichsam das Leben filtern will, und dem Pluto im Steinbock in Haus Sechs, der die Bestimmung der Begegnung verweigert.

 

- Bemerkenswert ist, dass sich Sonne und Pluto über null Grad Steinbock spiegeln, mit der Konjunktion von Saturn-Merkur nahezu auf dem Kardinalpunkt, so dass die Heiligung des Subjektiven die Bestimmung des Geschehens blockiert, es will sich ungeöffnet erhalten. In der Vorstellung der Reinheit, wie der Neptun aus Haus Acht im Spiegel zum Pluto anzeigt.

 

- Saturn-Merkur auf null Grad Steinbock im fünften Haus - das ist eher die Haltung der 99 Gerechten.

 

-  Dem Steinbock im fünften Haus geht es im Sinne des Löwe-Aszendenten um die Bestimmung der eigenständigen Bewegung des Einzelnen, die Bewegung des einen reuigen Sünders, "über den sich der Himmel mehr freut" als über 99 Gerechte. Die Konjunktion von Saturn und Merkur auf dem Kardinalpunkt sagt aus, dass die Bestimmung der Bewegung des Einzelnen im Konflikt mit der Regelgerechtigkeit steht.

 

- Es fällt auf, dass die rückgeschlossene ursprüngliche Bitte "Lass uns nicht anheimfallen der Versuchung," in der die Versuchung nicht verdrängt wird, vielmehr darum gebetet wird, ihr nicht zu erliegen, noch der früheren französischen Version entspricht, die bis 1966 gegolten hat: "Lass uns nicht der Versuchung unterliegen."

Diese wurde aufgegeben am Punkt der Zeitenwende von 1967. Epochenrhythmus, Übergang über Null Grad Krebs/Wolfgang Döbereiner

 

- Warum entwickelte sich, verstärkt zu Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts, die Ansicht, das Hebräische sei zur Zeit Jesu nicht mehr gesprochen worden und ein Ur-Evangelium nur in Aramäisch denkbar? 

 

- Ein Motiv mag gewesen sein, das Christentum vom Judentum zu distanzieren. Die Rede vom Aramäischen als Muttersprache Jesu versucht ihn aus dem Kontext des Judentums zu abstrahieren. Dazu gehört auch das Klischee vom  Judentum als Gesetzes- und Vergeltungsreligion im Gegensatz zum Christentum als Religion der Nächstenliebe. Dass Jesus das Gebot der Nächstenliebe aus den mosaischen Weisungen zitiert, als er von jenem Schriftgelehrten nach dem höchsten Gebot gefragt wird, wird gerne ausgeblendet.

  

- Auch ein anderer Satz birgt eine Vielschichtigkeit der Übersetzung. Die mittlere der sieben Anrufungen, die Bitte um das tägliche Brot.   (...) 

 

(Textauszug)

                                                                                                                                                                                                    ---

 

 

 

 

  

 

* zitiert aus: Hebräisches Evangelium und synoptische Überlieferung / Untersuchungen zum hebräischen Hintergrund der EvangelienGuido Baltes    

 

**  Joachim Jeremias: Sowohl das Nebeneinander von Sünde, Schuld, Versuchung und Schändlichem als auch die Wendung „in die Gewalt bringen" zeigen, daß das jüdische Abendgebet nicht an ein unmittelbares Handeln Gottes, sondern an seine Zulassung denkt (um den grammatischen Fachausdruck zu gebrauchen: das Kausativum hat hier eine permissive Nuance). Der Sinn ist also: „Laß nicht zu, daß ich in die Hände von Sünde, Schuld, Versuchung und Schändlichem falle.* Dieses Abendgebet bittet also um die Bewahrung vor dem E r l i e g e n in der Versuchung, und so wird auch die Schlußbitte des Vater-Unsers gemeint sein. Wir haben daher übersetzt: "Laß uns nicht der Versuchung anheimfallen."  Calwer Hefte, 50, Das Vater-Unser im Lichte der neueren Forschung, 1962

 

*** Peter Jentzmik, und lass uns nicht in die Fänge der Versuchung geraten, siehe:  http://www.glaukos-verlag.de/media/HessenschauLT.pdf

 

 

 

 

 

 

 (C) 2017/2018 Herbert Antonius Weiler, hebräische Inhalte in Zusammenarbeit mit Leah Jappie